Eine übergewichtige Person steht auf einer Waage
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Adipositas – eine Frage der Ernährung?

Die Deutschen werden immer dicker, die Zahlen sind alarmierend. Besonders das hohe Übergewicht ist ein Problem: Adipositas, auch Fettleibigkeit genannt, kann schwere und lebensbedrohliche Folgen haben. Trotzdem galt starkes Übergewicht lange nicht als Krankheit, sondern als Lebensstil-Problem – seit Juli 2020 ist das anders: Der Deutsche Bundestag hat gefordert, die Adipositas als chronische Krankheit anzuerkennen. Was geschieht jetzt? Bekommen alle Betroffenen die Behandlung, die sie brauchen? Wer trägt die Kosten? Ein Überblick über den aktuellen Forschungsstand und offene Fragen.

Kurz gesagt

  • Adipositas ist eine Krankheit, kein Zeichen mangelnder Disziplin.
  • Fettleibigkeit lässt sich nicht heilen, nur behandeln.
  • Adipositas schreitet fort: Betroffene nehmen immer mehr zu.
  • Operationen erfolgen zu spät und zu selten.
  • Betroffene haben ein Recht auf Behandlung.

Inhalt


Alarmierende Zahlen: Adipositas in Deutschland

Dickes Deutschland: Bei den über 65-Jährigen sind Normalgewichtige in der Minderheit (DGE 2020). Knapp 70 Prozent der Männer und mehr als die Hälfte der Frauen sind in diesem Alter übergewichtig, ein Fünftel adipös. Im Schnitt ist jeder Vierte in Deutschland schwer übergewichtig oder fettleibig – je älter, desto höher der Anteil der Adipösen. Unter Kindern und Jugendlichen sind 15,4 Prozent zu dick, 5,9 Prozent adipös, das betrifft mehr als 800.000 Kinder und Jugendliche.

Die Tendenz zu Übergewicht und Adipositas steigt in fast allen Gruppen, lediglich bei Kindern und Jugendlichen stagniert der Anteil auf hohem Niveau (Schienkiewitz et al. 2022). Während der Lockdowns in der Corona-Pandemie haben Ärztinnen und Ärzte allerdings festgestellt, dass viele Kinder stark zugenommen haben. Auch Diabetes vom Typ 2 unter Kindern und Jugendlichen steigt (DAG 2021a, DAG 2022). Deshalb fordern Forschende und Fachverbände weitere Schritte, etwa eine Zuckersteuer für Süßigkeiten und Getränke. Auch höhere Abgaben für Lebensmittel, die viel Fett enthalten, sowie verbindliche Standards für Schulessen stehen auf der Liste der Empfehlungen (DANK 2023).

Adipositas ist eine chronische Krankheit und kein Disziplinproblem

Fachleute betrachten das schwere Übergewicht schon lange als ernste Gesundheitsgefahr: Im Jahr 2000 hat die Weltgesundheitsorganisation WHO Adipositas als Krankheit anerkannt. Demnach ist hohes Übergewicht eine chronische und fortschreitende Erkrankung, die die Lebensqualität der Betroffenen stark beeinträchtigen kann.

Seit dem 3.7.2020 gilt das auch in Deutschland: Der Deutsche Bundestag hat Adipositas als chronische Krankheit anerkannt und beschlossen, dass Betroffene ein Recht auf Behandlung haben (DAA 2021). Disziplinlosigkeit oder Fresslust können adipösen Menschen nicht mehr angelastet werden.

Die Folge müssten mehr Therapiemöglichkeiten sein, doch gerade daran mangelt es: Fachgesellschaften beklagen, dass es zu wenig Klinikplätze und Behandlungsangebote gibt. Sie fordern auch, dass die Krankenkassen alle Kosten übernehmen. Doch dies ist bisher nicht geschehen, zudem haben viele Betroffene keinen Zugang zu einer Behandlung nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Sogenannte medizinische Leitlinien halten diesen fest. Mehrere Institutionen haben sich damit auseinandergesetzt, darunter beispielsweise die Deutsche Adipositas-Gesellschaft: mehr Informationen dazu unter „Mehr Wissen“.

Grafiken und Diagramme zu Adipositas befinden sich unter Medienservice.


Wann gilt man als adipös?

Der Begriff „Adipositas“ bezeichnet eine über das normale Maß hinausgehende Vermehrung von Körperfett. Dies geht mit Begleit- und Folgeerkrankungen einher, darunter Diabetes Typ 2 oder Herzinfarkt.

Ob und wie stark ein Mensch übergewichtig oder adipös ist, wird in der Medizin mit dem Body-Mass-Index (BMI) erfasst. Dieser Wert setzt das Gewicht zur Körpergröße ins Verhältnis, indem der Quotient aus Körpergewicht und Körpergröße zum Quadrat (kg/m2) errechnet wird.

Es gibt folgende BMI-Stufen und Grade der Adipositas:

BMI kg/m2
Kategorie
18,5–24,9
Normalgewicht
25–29,9
Übergewicht
30–34,9
Adipositas Grad I
35–39,9
Adipositas Grad II
≥ 40
Adipositas Grad III
Quelle: DAG 2019–2023

Ab BMI 30 gilt ein Mensch demnach als adipös. Konkret umgerechnet auf das Körpergewicht in Kilogramm hat ein adipöser Mensch mit BMI 30 etwa 15 bis 20 Kilo Übergewicht.

So verhält sich das Körpergewicht zu den BMI-Stufen verhält (exemplarisch)

BMI Spannbreite
BMI konkret
Größe 1,70 m Gewicht in kg
Größe 1,80 m Gewicht in kg
Größe 1,90 m Gewicht in kg
Größe 2,00 m Gewicht in kg
Übergewicht 25–29.9 kg/qm  
25
72
81
90
100
Adipositas Grad I 30–34.9 kg/qm  
30
87
97
108
120
Adipositas Grad II 35–39.9 kg/qm  
35
101
113
126
140
Adipositas Grad III ab 40 kg/qm  
40
116
130
144
160
Quelle: Klinikum Stuttgart (2023)

Der BMI erfasst Übergewicht, aber nicht den Gesundheitszustand.

Um festzustellen, ob ein übergewichtiger oder adipöser Patient gesund ist, müssen Ärzte die Patienten untersuchen, eine Blickdiagnose reicht nicht. Um das Risiko abzuschätzen, ziehen Mediziner weitere Parameter hinzu, darunter Blutwerte, den Anteil an Körperfett und den Taillenumfang. Liegt er bei Frauen bei 88 cm oder mehr und bei Männern bei 102 cm oder mehr, spricht das für im Bauchraum eingelagertes Fett. Im Fachjargon ist dann von abdomineller Adipositas die Rede. Menschen mit dieser Fettverteilung haben ein besonders hohes Risiko für Folgeerkrankungen, etwa Stoffwechselstörungen oder Herzinfarkt.

Ein weiteres Diagnoseschema ist das sogenannte Edmonton Obesity Staging System (EOSS) (Hellbardt et al. 2017). Dabei werden zur Ermittlung des Risikos neben dem BMI auch mit Adipositas zusammenhängende Erkrankungen und funktionelle Einschränkungen berücksichtigt. Von krankhaftem Übergewicht kann man vor allem dann ausgehen, wenn sowohl der BMI als auch das Taillen-Hüfte-Verhältnis (waist-to-hip-ratio, WHR) über die Grenzwerte steigen. Wenn dazu Folgeerkrankungen teilweise oder in vollem Umfang vorliegen, empfehlen Mediziner dringend eine Behandlung.


Was sind die Ursachen von Adipositas?

Manche Menschen haben ihr Gewicht scheinbar mühelos im Griff, andere kämpfen ein Leben lang damit – warum das so ist, weiß man erst in Ansätzen (Fiedler et al. 2019). Wer gesund lebt, sich vernünftig ernährt, sich genügend bewegt und aktiv auf das Gewicht achtet, kann Adipositas zwar vermeiden. Umgekehrt bedeutet das aber nicht, dass Menschen mit schwerem Übergewicht an ihrer Krankheit selbst schuld sind oder sich mit Diät und Bewegung auf eigene Faust kurieren können: Die Ursachen für Fettleibigkeit sind vielschichtig und von Mensch zu Mensch verschieden.

Folgende Faktoren haben Einfluss (Luck-Sikorski et al. 2019):

  • Veranlagung: Adipositas in der Familie: Gene spielen eine wichtige Rolle
  • Lebensstil, darunter zu wenig Bewegung und ungünstige Ernährung
  • Schlafmangel
  • Stress
  • Hormonstörungen, zum Beispiel Schilddrüsenunterfunktion
  • Medikamente: bestimmte Antidepressiva und Betablocker, Kortison
  • psychische Erkrankungen wie Depressionen, Ängste, Essstörungen
  • weitere Ursachen: zum Beispiel Nikotinentzug, weil man mit dem Rauchen aufhört
  • Umweltfaktoren und soziale Schicht, Bildung, Freizeitgewohnheiten, Mahlzeitenrhythmus, aber auch ständig verfügbare, billige und energiedichte Lebensmittel

Haben Gene eine Schlüsselrolle?

Aktuelle Analysen zeigen: Wer schon übergewichtig ist, nimmt mit den Jahren immer mehr zu (Schienkiewitz et al. 2022): Ohne Behandlung schreiten Übergewicht und Krankheit fort, bis zu lebensbedrohlichen Folgen. Inzwischen wissen Forschende auch mehr über die Schlüsselrolle der Gene: Neue Untersuchungen deuten auf eine Art Gen-Schalter für Übergewicht hin. Demnach liegt die Fettleibigkeit im Erbgut keineswegs absolut fest, sondern wird erst nach der Geburt von den Genen bestimmt. Der Auslöser dafür funktioniert wie ein Schalter, der bestimmte Gene aktiviert oder stoppt, wie eine Forschungsgruppe an der Max-Planck-Gesellschaft an Mäusen festgestellt hat. Ist der Schalter einmal umgelegt, bleibt das Körpergewicht lebenslang gleich. So könnte auch der Weg zum chronischen Übergewicht bei Menschen über solche Gen-Schalter führen, dies ist bisher jedoch nicht belegt. Hinweise darauf fand dieselbe Forschungsgruppe in Fettgewebe übergewichtiger Kinder. Was genau das Umlegen des Schalters auslöst, ist noch nicht bekannt (MPG 2016).


Welche Folgen hat Adipositas?

Nicht jede Person, die zu viel Gewicht auf die Waage bringt, ist automatisch krank. Folgeerkrankungen hängen ebenso von verschiedenen Faktoren ab wie die Adipositas selbst. Fest steht aber: Wer zunimmt, ohne gegenzusteuern, riskiert gesundheitliche Probleme. Zu den häufigsten Begleit- und Folgeerkrankungen von Adipositas gehören (WHO 2000):

  • gestörter Kohlenhydratstoffwechsel, insbesondere Diabetes Typ 2
  • Fettstoffwechselstörungen
  • Fettleber
  • Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, Herzinfarkt
  • Schlaganfall
  • diverse Krebserkrankungen – Adipositas ist eindeutig krebserregend
  • Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts wie Sodbrennen, Reflux
  • Arthrose, Schäden und Schmerzen im Bewegungsapparat
  • psychische Erkrankungen
  • weitere Krankheiten wie Gicht, hormonelle Störungen, chronische Entzündungen, Schlafapnoe

Sinkende Lebenserwartung und soziale Vorurteile

All diese Risiken drohen auch vorgeblich gesunden Übergewichtigen und Adipösen, die noch normale Blutwerte haben: Schweres Übergewicht hat über kurz oder lang immer Folgen. Die Legende von den gesunden Dicken („Happy Obese“) ist inzwischen widerlegt – gesichert ist, dass Adipöse eine deutlich niedrigere Lebenserwartung haben: Sie sterben drei bis zehn Jahre früher als Normalgewichtige (OECD 2019).

Ein anderes Problem sind soziale Vorurteile gegen übergewichtige Menschen: Betroffene werden oft stigmatisiert und sogar diskriminiert – im Alltag, aber auch von medizinischem Fachpersonal. Sie gelten etwa als willensschwach oder disziplinlos, die Schuld an dem starken Übergewicht wird ihnen persönlich zugeschoben (DAG 2021b). Mehr dazu finden Sie in der Rubrik Mehr Wissen.

Volkswirtschaftliche Folgen

Die gesellschaftlichen Folgen der Adipositas zeigen sich in Ländern, die noch stärker betroffen sind als Deutschland: In den USA etwa sorgt sich das Militär um die nationale Sicherheit, da bis zu 70 Prozent der jungen Männer eines Rekrutenjahrgangs zu dick für den Militärdienst sind (Maxey et al. 2018).

Direkte Kosten entstehen volkswirtschaftlich durch die Behandlung der Betroffenen, indirekte durch häufige Krankschreibungen, Frührente sowie die geringere Produktivität von Adipösen. Alle Kosten für Adipositas in Deutschland werden auf ca. 53 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt, dabei haben die indirekten Kosten den größeren Anteil (Effertz et al. 2016).


Wie kann man Adipositas behandeln?

Adipositas ist bisher nicht heilbar – dieses Fazit ziehen Experten aus der intensiven Forschung der letzten Jahre. Die Ursachen sind zu komplex und alle Versuche, Fettleibige auf Dauer von Übergewicht zu befreien, blieben bisher ohne Erfolg. Medizin und Ernährungsberatung können oft nur Begleiterkrankungen behandeln und die schlimmsten Folgen mildern. Denn auch wenn das Abnehmen in einem Gewichtsreduktionsprogramm gelingt, fallen die Betroffenen oft in alte Essmuster zurück. Laut Experten müssen sie daher meist ein Leben lang auf ihr Gewicht achten.

Konservative oder operative Therapie

Generell kennt die Medizin bei der Therapie von Adipositas den konservativen und den operativen Weg. Gestartet wird in aller Regel mit der konservativen Therapie, in den Leitlinien auch „Basistherapie“ genannt (Wirth et al. 2014). Der erste Schritt ist das Abnehmen, dabei geht es allerdings weder um das Wunschgewicht noch um ein Ideal. Ziel ist stattdessen der individuelle Gewichtsverlust, um Begleiterkrankungen und Lebensqualität zu verbessern. Das können beim Einzelnen nur sechs Kilo in einem Jahr oder fünf Prozent der Körpermasse weniger sein – und für manche ist es schon ein Erfolg, wenn sie nicht weiter zunehmen.

Dabei strebt eine Ernährungstherapie immer eine dauerhafte Ernährungsumstellung an, keine kurzfristige Diät. Das bedeutet, dass die Betroffenen Kalorien maßvoll reduzieren: Hungerkuren gibt es in der Adipositastherapie nicht. Gleichzeitig soll mehr Bewegung dafür sorgen, dass der Körper mehr Energie verbraucht. Erfolge stellen sich damit eher langsam ein, zum Beispiel als Gewichtsverlust von einem Pfund pro Woche. Kleine Schritte sind aber nachhaltiger als Crash-Diäten.

Die Basistherapie

Die Basistherapie kombiniert drei Bereiche: Ernährung, Bewegung und Verhalten (Wechsler et al. 1996):

  1. Ernährung: Ernährungsumstellung, mit der täglich etwa 500 kcal bis maximal 800 kcal eingespart werden. Möglich sind zum Beispiel Varianten mit weniger Kohlenhydraten (Low Carb) oder weniger Fett, auch in Kombination; außerdem können Formulaprodukte mit Drinks oder Pulver eine Mahlzeit ersetzen.
  2. Bewegung: Mehr Aktivität, immer mit Rücksicht auf körperliche Beschwerden. Am besten sind sanfter Sport (mindestens 150 Minuten/Woche Ausdauertraining) sowie mehr Bewegung im Alltag, etwa Treppensteigen.
  3. Verhalten: Mit ihren Therapeutinnen und Therapeuten können Betroffene ungünstige Verhaltensmuster, ihre Vorgeschichte und Motivation besprechen. Gleichzeitig lernen sie, sich selbst zu beobachten und mit Rückfällen umzugehen. Essstörungen wie zwanghafte Essanfälle oder eine Bulimie bedürfen einer Therapie.

Diese drei Module bilden in jedem Stadium der Erkrankung den Grundstein der Behandlung. Weitere Bausteine in der Behandlung sind digitale Gesundheitsanwendungen, zum Beispiel die Apps Zanadio und Oviva Direkt. Sie können ärztlich verschrieben werden, die Kassen übernehmen dann die Kosten (ÄrzteZeitung 2021).


Neue Adipositas-Medikamente auf dem Markt

Inzwischen gibt es auch neue Medikamente, die das Hunger- und Sättigungsgefühl beeinflussen oder Essanfälle bremsen sollen. Einige werden schon in der Therapie des Diabetes Typ 2 eingesetzt, dazu gehören die sogenannten Inkretin-Mimetika (Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie 2021). Die Medikamente kommen allerdings erst dann zum Einsatz, wenn mit der Basistherapie aus Bewegung, Ernährungsänderung und Verhaltensumstellung keine ausreichende Gewichtsreduktion erzielt wird.

Bislang sind in Deutschland die verschreibungspflichtigen Medikamente Orlistat und Liraglutid 3,0 mg verfügbar. Zudem ist Semaglutid 2,4 mg in allen Mitgliedsstaaten der EU für die Behandlung zugelassen. Das Medikament ist unter dem Namen Ozempic bereits als Mittel gegen Diabetes auf dem Markt, in einer niedrigeren Dosierung von 1 mg. Zudem ist die Medikation bei Übergewicht unter dem Namen Wegovy erhältlich. In Studien zeigte sich Semaglutid 2,4 mg als sehr effektiv bei der Gewichtsabnahme (Weghuber et al. 2022).

Weitere Informationen zur Wirkung von Medikamenten bei Adipositas finden sich:
auf den Seiten der Deutschen Adipositas-Gesellschaft e.V.: https://adipositas-gesellschaft.de/adipositas-medikamente-fragen-und-antworten/
und bei der Science Media Center Germany gGmbH: https://www.sciencemediacenter.de/alle-angebote/press-briefing/details/news/semaglutid-co-diabetesspritzen-zum-abnehmen/


Welche Operationen gibt es bei Adipositas?

Bei stark adipösen Patientinnen und Patienten reicht die Basistherapie oft nicht aus, Operationen können dann helfen. Eine chirurgische Magenverkleinerung, führt beispielsweise zu einem raschen und dauerhaften Gewichtsverlust.

Magenverkleinerung

Bei den Standardverfahren wird ohne große Schnitte per Schlüssellochtechnik operiert. An Magen oder Darm, zum Beispiel können Chirurginnen oder Chirurgen 60 bis 90 Prozent vom Magen wegschneiden. Danach passt nur noch wenig Nahrung in den Restmagen, die Folge: Fast immer verschwindet ein Diabetes-Typ-2, so dass auf Insulin verzichtet werden kann. Nach ein bis zwei Jahren haben die Betroffenen 30 bis 60 Prozent ihres Übergewichts verloren, auf lange Sicht können es über 80 Prozent sein (Fink et al. 2022).

Magenbypass

Bei einem anderen Verfahren legen Ärztinnen und Ärzte einen Umweg um Magen und Teile des Darms, den sogenannten Magenbypass. So verwertet der Darm die Nahrung schlechter und weniger Kalorien gelangen in den Körper. Möglich sind auch aufeinander aufbauende Operationen.

Folgen der Operationen

Nach allen Operationen verändern sich der Hormonhaushalt des Magen-Darm-Trakts sowie Hunger- und Sättigungsgefühl. Auch auf andere Organe wirkt sich die Umstellung der Hormone aus, darunter Leber, Fettgewebe und Muskeln. Die schweren Eingriffe in den Verdauungstrakt beeinflussen das ganze Leben. Auch bergen sie – wie jede Operation – Komplikationen und Risiken. Fast immer müssen die Betroffenen nach der Klinik dauerhaft Nahrungsergänzungsmittel nehmen, bestimmte Ernährungsweisen einhalten und streng nach Plan essen. Manchmal schließt sich noch eine kosmetische Operation und überschüssige Haut wird entfernt, die nach dem Abnehmen schlaff herunterhängt.

Voraussetzungen für chirurgische Eingriffe

Wann die Voraussetzung für solche Eingriffe gegeben ist, regelt die Behandlungsleitlinie „Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen“ (DGAV 2018). In der Regel ist schwerste Fettleibigkeit ab BMI 40 mit vierzig Kilo Übergewicht und mehr Grund für die Operation. Falls Betroffene schwere Begleiterkrankungen haben, kann man auch früher operieren, schon bei BMI 35. Allerdings müssen erst die Möglichkeiten der Basistherapie ausgeschöpft sein – selten empfehlen Medizinerinnen und Mediziner eine Operation, ohne vorher den konservativen Weg zu gehen. Möglich wäre das aber bei einem BMI über 50 oder bei besonders schweren Gesundheitsproblemen.


Adipositas: Operationen in Deutschland zu spät und zu selten

Auch wenn immer mehr Menschen in Deutschland adipös sind und öfter operiert wird: Aus Sicht von Experten gibt es hierzulande eher wenige Eingriffe bei Adipositas. Eine Studie aus dem Jahr 2015 hat gezeigt, dass Deutschland im europäischen Vergleich mit Ländern wie Belgien, Frankreich und England das Schlusslicht bildet (Borisenko et al. 2014). Dabei sind die klinischen Leitlinien für die Adipositasbehandlung in den Ländern praktisch gleich – nicht aber die Zulassungskriterien für eine Operation.

Die Studienautoren halten das komplizierte Reglement der deutschen Krankenversicherungen für die Ursache. So verlangen die Kassen vor der Operation in der Regel ein Gutachten von ihrem medizinischen Dienst – das kostet Zeit. Mehrere Adipositas-Expertinnen haben öffentlich geäußert, dass in Deutschland zu spät und zu selten operiert wird (Trauner 2016, Lenzen-Schulte 2018, Wewetzer 2017). Auch für die Basistherapie gilt, dass zu wenig und vor allem nicht rechtzeitig und nicht lange genug behandelt wird (Deutscher Ärzteverlag GmbH 2022).


Adipositas als Krankheit: Was passiert jetzt?

Adipositas ist offiziell als Krankheit anerkannt

Der Anerkennung von Adipositas als chronische Krankheit durch den Deutschen Bundestag 2020 wirkte sich aus: Das Gesundheitsministerium schloss sich an, zuvor hatte auch das Bundessozialgericht entschieden, dass Adipositas eine behandlungsbedürftige Krankheit sei. Der Deutsche Bundestag beschloss außerdem 2021, eine strukturierte Behandlung für die Adipositas entwickeln zu lassen, ein sogenanntes Disease-Management-Programm (DMP) (IQWiG 2020). Dabei erkannte das Parlament auch die Grade der Adipositas an, gekennzeichnet durch den BMI. DMPs gibt es bereits für einige chronische Krankheiten, darunter Asthma und Diabetes. Für Adipositas war ein solcher stringenter Therapieplan bisher nicht in Sicht – die Deutsche Adipositasgesellschaft bejubelte die Beschlüsse daher als „Quantensprung für die Betroffenen“ (DAG 2020). Doch ist bisher nicht geklärt, ob und wann alle Patientinnen und Patienten die Behandlung bekommen, die sie brauchen und die ihnen zusteht.

Schwierigkeiten beim Zugang zu Adipositastherapie

Schon die Basistherapie mit Ernährungsberatung und Bewegungstraining bezuschussen die Krankenkassen unterschiedlich und oft nur teilweise. Auch bestehen Unterschiede zwischen den Bundesländern, damit hängt die richtige Behandlung eher vom Wohnort ab als von der Diagnose. Nur ein einziges Adipositas-Schulungsprogramm ist von allen Krankenkassen anerkannt: das DOC WEIGHT®-Programm, entwickelt vom Bundesverband Deutscher Ernährungsmediziner und dem Verband Deutscher Ernährungsassistenten VDD (BDEM 2023). Doch eine Therapie nach DOC WEIGHT® gibt es nicht immer in der Nähe des eigenen Wohnorts – und in der Regel erstatten die Kassen selbst für DOC WEIGHT® nur einen Teil der Kosten. Auch andere Programme wie M.O.B.I.L.I.S. werden nicht von allen Kassen übernommen (Berg et al. 2008).

Manchen Betroffenen hilft ein Klinikaufenthalt: Für viele Menschen mit Adipositas kann das ein wichtiger Anstoß sein, um etwas Gewicht zu verlieren, Verhaltensprobleme zu besprechen oder ohne Hemmungen mit anderen ins Schwimmbad gehen zu können. Doch es gibt nicht genügend Plätze, und nach einer Reha-Nachsorge hängt der langfristige Erfolg von Therapie und Betreuung im Alltag ab.


Fazit: Adipositas ist nicht heilbar – aber überwindbar

Adipositas ist mehr als lediglich eine Frage der richtigen Ernährung: Es handelt sich um eine chronische und fortschreitende Erkrankung mit vielfältigen Ursachen. Eine ursächliche Heilung ist bisher nicht möglich; Fachleute können lediglich die daraus resultierenden Folgen behandeln. Jedoch erhalten nicht alle Betroffenen eine angemessene Therapie gemäß den medizinischen Leitlinien, insbesondere rechtzeitiger Ernährungstherapie. Sogar bei schwerster Fettleibigkeit sind operative Eingriffe in Deutschland selten. In Anbetracht der gegenwärtigen Adipositas-Epidemie stellt dies eine besondere Herausforderung dar.

Text: KErn / jb, elz
Wissenschaftliche Recherche: Katharina A. Goerg

Nachweise

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DAG – Deutsche Adipositas-Gesellschaft e.V. (2021a): Adipositas bei Kindern: Eine „stille“ Pandemie, Pressemitteilung vom 24.06.2021, [online] https://adipositas-gesellschaft.de/adipositas-bei-kindern-eine-stille-pandemie/

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Stand: 12. Juni 2023

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