Adipositas – eine Frage der Ernährung?
Weltweit steigen die Zahlen der Menschen mit hohem Übergewicht: Adipositas, auch Fettleibigkeit (obesity) genannt, kann schwere und lebensbedrohliche Folgen haben. Trotzdem galt starkes Übergewicht lange nicht als Krankheit, sondern als Lebensstil-Problem – seit Juli 2020 ist das anders: Mit der Verabschiedung des „Gesetzes zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG)“ wurde Adipositas offiziell als chronische Krankheit anerkannt. Aber bekommen jetzt alle Betroffenen die Behandlung, die sie brauchen? Und wer trägt die Kosten?
Kurz gesagt
- Adipositas ist eine Krankheit, kein Zeichen mangelnder Disziplin.
- Fettleibigkeit lässt sich nicht heilen, nur behandeln.
- Adipositas schreitet fort: Betroffene nehmen immer mehr zu.
- Operationen erfolgen zu spät und zu selten.
- Betroffene haben ein Recht auf Behandlung.
Inhalt
- Alarmierende Zahlen: Adipositas in Deutschland
- Wann gilt man als adipös?
- Was sind die Ursachen von Adipositas?
- Welche Folgen hat Adipositas?
- Wie kann man Adipositas behandeln?
- Welche Operationen gibt es bei Adipositas?
- Adipositas als Krankheit anerkannt: Was passiert jetzt?
- Fazit: Adipositas ist nicht heilbar – aber überwindbar
- Weiterführende Links
- Nachweise
Alarmierende Zahlen: Adipositas in Deutschland
Im Schnitt sind über 50 Prozent der in Deutschland lebenden Erwachsenen übergewichtig, ab einem Alter von 70 Jahren sind es bereits 64 Prozent. Rund ein Fünftel der über 55-Jährigen ist adipös, mit einem Body-Mass-Index (BMI) von 30 und mehr (Destatis 2021). Weltweit sind bereits eine Milliarde und somit ein Achtel aller Menschen adipös (Phelps et al. 2024).
2020 waren 15,4 Prozent der Kinder und Jugendlichen übergewichtig und 5,9 Prozent adipös, mehr als 800.000 (DGE 2020). In der Altersgruppe 10 bis 14 Jahre waren 2022 sogar 7,08 Prozent der Mädchen adipös (WIdO 2022). Auch Diabetes vom Typ 2 steigt bei Kindern und Jugendlichen (DAG 2021a, DAG 2022). Deshalb fordern Forschende und Fachverbände weitere Schritte, etwa eine Zuckersteuer für Süßigkeiten und Getränke. Auch höhere Abgaben für Lebensmittel, die viel Fett enthalten, sowie verbindliche Standards für Schulessen stehen auf der Liste der Empfehlungen (DANK 2023).
Adipositas ist eine chronische Krankheit und kein Disziplinproblem
Fachleute betrachten das schwere Übergewicht schon lange als ernste Gesundheitsgefahr: Im Jahr 2000 hat die Weltgesundheitsorganisation WHO Adipositas als Krankheit anerkannt. Demnach ist hohes Übergewicht eine chronische und fortschreitende Erkrankung, die die Lebensqualität der Betroffenen stark beeinträchtigen kann. Seit dem 3.7.2020 gilt das auch in Deutschland: Der Deutsche Bundestag hat Adipositas als chronische Krankheit anerkannt und beschlossen, dass Betroffene ein Recht auf Behandlung haben (DAA 2021). Disziplinlosigkeit oder Fresslust können adipösen Menschen nicht mehr angelastet werden.
Die Folge müssten mehr Therapiemöglichkeiten sein, doch gerade daran mangelt es: Fachgesellschaften beklagen, dass es zu wenig Klinikplätze und Behandlungsangebote gibt. Sie fordern auch, dass die Krankenkassen alle Kosten übernehmen. Doch dies ist bisher nicht geschehen, zudem haben viele Betroffene keinen Zugang zu einer Behandlung nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Sogenannte medizinische Leitlinien halten diesen fest.
Leitlinien zu Adipositas
- S3-Leitlinie Prävention und Therapie der Adipositas, evidenzbasiert und konsensbasiert, aktualisiert im Oktober 2024
- Überblick der Deutschen Adipositas-Gesellschaft DAG
- Adipositas-Leitfaden der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft Adipositastherapie und metabolische Chirurgie (CA-ADIP) der DGAV (Deutsche Gesellschaft für Allgemeine- und Viszeralchirurgie)
- Patientenleitlinie zur Diagnose und Behandlung der Adipositas der SRH Hochschule für Gesundheit und der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG)
Wann gilt man als adipös?
Der Begriff „Adipositas“ bezeichnet eine über das normale Maß hinausgehende Vermehrung von Körperfett. Dies geht mit Begleit- und Folgeerkrankungen einher, darunter Diabetes Typ 2 oder Herzinfarkt. Ob und wie stark ein Mensch übergewichtig oder adipös ist, wird mit dem Body-Mass-Index (BMI) erfasst. Dieser Wert setzt das Gewicht zur Körpergröße ins Verhältnis, indem der Quotient aus Körpergewicht und Körpergröße zum Quadrat (kg/m2) errechnet wird. Mit einem BMI zwischen 18,5 und 24,9 gilt eine Person als normalgewichtig, ab BMI 30 als adipös. Konkret umgerechnet auf das Körpergewicht in Kilogramm hat ein adipöser Mensch mit BMI 30 etwa 15 bis 20 Kilo Übergewicht.
BMI | Gewicht bei 1,70 m Größe | Gewicht bei 1,80 m Größe |
---|---|---|
25 (Übergewicht) | 72 kg | 81 kg |
30 (Adipositas Grad I) | 87 kg | 97 kg |
35 (Adipositas Grad II) | 101 kg | 113 kg |
40 (Adipositas Grad III) | 116 kg | 130 kg |
Der BMI erfasst Übergewicht, aber nicht den Gesundheitszustand.
Um festzustellen, ob eine übergewichtige oder adipöse Person gesund ist, braucht es eine ärztliche Untersuchung, eine Blickdiagnose reicht nicht. Um das Risiko abzuschätzen, werden weitere Parameter hinzugezogen, darunter Blutwerte, Anteil an Körperfett und Taillenumfang. Liegt dieser bei Frauen bei mindestens 88 cm und bei Männern bei 102 cm oder mehr, spricht das für im Bauchraum eingelagertes Fett. Im Fachjargon ist dann von abdomineller Adipositas die Rede. Menschen mit dieser Fettverteilung haben ein besonders hohes Risiko für Folgeerkrankungen, etwa Stoffwechselstörungen oder Herzinfarkt.
Ein weiteres Diagnoseschema ist das sogenannte Edmonton Obesity Staging System (EOSS) (Hellbardt et al. 2017). Dabei werden zur Ermittlung des Risikos neben dem BMI auch mit Adipositas zusammenhängende Erkrankungen und funktionelle Einschränkungen berücksichtigt. Von krankhaftem Übergewicht kann man vor allem dann ausgehen, wenn sowohl der BMI als auch das Taillen-Hüfte-Verhältnis (waist-to-hip-ratio, WHR) über die Grenzwerte steigen. Wenn dazu Folgeerkrankungen teilweise oder in vollem Umfang vorliegen, empfiehlt die Medizin dringend eine Behandlung.
Diagnose Adipositas: EOSS
Das Edmonton Obesity Staging System (EOSS) ist ein Diagnosesystem für Schäden und Begleiterkrankungen von Adipositas mit 4 Stadien, von 0 (keine Beschwerden) bis 4 (schwere Folgeschäden). In Stadium 1 haben die Betroffenen milde körperliche oder psychische Symptome, etwa erhöhten Blutzucker oder höhere Blutfettwerte. In Stadium 2 bestehen Probleme und Erkrankungen wie Bluthochdruck, Schlafapnoe und Diabetes, oder die Betroffenen sind im Alltag bereits eingeschränkt. Auch psychische Symptome kommen oft dazu, zum Beispiel Depressionen oder Angststörungen.
In Stadium 3 hat die Fettleibigkeit bereits Organe geschädigt wie das Herz oder die Gelenke. Das Wohlbefinden ist erheblich eingeschränkt, z. B. durch Atembeschwerden. In Stadium 4 hat die Adipositas schwere chronische Erkrankungen verursacht: Betroffene sind wegen ihrer psychischen oder körperlichen Verfassung arbeitsunfähig oder können ihren Alltag nicht oder kaum bewältigen.
Was sind die Ursachen von Adipositas?
Manche Menschen haben ihr Gewicht scheinbar mühelos im Griff, andere kämpfen ein Leben lang damit – warum das so ist, weiß man erst in Ansätzen (Fiedler et al. 2019, DAG 2024). Wer gesund lebt, sich vernünftig ernährt, genügend bewegt und aktiv auf das Gewicht achtet, kann Adipositas zwar vermeiden. Umgekehrt bedeutet das aber nicht, dass Menschen mit schwerem Übergewicht an ihrer Krankheit selbst schuld sind oder sich mit Diät und Bewegung auf eigene Faust kurieren können: Die Ursachen für Fettleibigkeit sind vielschichtig und von Mensch zu Mensch verschieden.
Folgende Faktoren haben Einfluss (DAG 2024):
- Veranlagung: Adipositas in der Familie: Gene spielen eine wichtige Rolle
- Lebensstil, darunter zu wenig Bewegung und ungünstige Ernährung
- Schlafmangel
- Chronischer Stress
- Hormonstörungen, zum Beispiel Schilddrüsenunterfunktion
- Medikamente: bestimmte Antidepressiva und Betablocker, Kortison
- Psychische Erkrankungen wie Depressionen, Ängste, Essstörungen
- weitere Ursachen: zum Beispiel Nikotinentzug, weil man mit dem Rauchen aufhört
- Umweltfaktoren und soziale Schicht, Bildung, Freizeitgewohnheiten, Mahlzeitenrhythmus, aber auch ständig verfügbare, billige und energiedichte Lebensmittel
Spielen Gene eine Schlüsselrolle?
Aktuelle Analysen zeigen: Wer schon übergewichtig ist, nimmt mit den Jahren immer mehr zu (Schienkiewitz et al. 2022): Ohne Behandlung schreiten Übergewicht und Krankheit fort, bis zu lebensbedrohlichen Folgen. Inzwischen wissen Forschende auch mehr über die Schlüsselrolle der Gene: Neue Untersuchungen deuten auf eine Art Gen-Schalter für Übergewicht hin. Demnach liegt die Fettleibigkeit im Erbgut keineswegs absolut fest, sondern wird erst nach der Geburt von den Genen bestimmt. Der Auslöser dafür funktioniert wie ein Schalter, der bestimmte Gene aktiviert oder stoppt, wie eine Forschungsgruppe an der Max-Planck-Gesellschaft an Mäusen festgestellt hat. Ist der Schalter einmal umgelegt, bleibt das Körpergewicht lebenslang gleich. So könnte auch der Weg zum chronischen Übergewicht bei Menschen über solche Gen-Schalter führen, dies ist bisher jedoch nicht belegt. Hinweise darauf fand dieselbe Forschungsgruppe in Fettgewebe übergewichtiger Kinder. Was genau das Umlegen des Schalters auslöst, ist noch nicht bekannt (MPG 2016).
Welche Folgen hat Adipositas?
Nicht jede Person, die zu viel Gewicht auf die Waage bringt, ist automatisch krank. Folgeerkrankungen hängen ebenso von verschiedenen Faktoren ab wie die Adipositas selbst. Fest steht aber: Wer zunimmt, ohne gegenzusteuern, riskiert gesundheitliche Probleme. Zu den häufigsten Begleit- und Folgeerkrankungen von Adipositas gehören (WHO 2000):
- gestörter Kohlenhydratstoffwechsel, insbesondere Diabetes Typ 2
- Fettstoffwechselstörungen
- Fettleber
- Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, Herzinfarkt
- Schlaganfall
- diverse Krebserkrankungen – Adipositas ist eindeutig krebserregend
- Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts wie Sodbrennen, Reflux
- Arthrose, Schäden und Schmerzen im Bewegungsapparat
- psychische Erkrankungen
- weitere Krankheiten wie Gicht, hormonelle Störungen, chronische Entzündungen, Schlafapnoe
Sinkende Lebenserwartung und soziale Vorurteile
All diese Risiken drohen auch vorgeblich gesunden Übergewichtigen und Adipösen, die noch normale Blutwerte haben: Schweres Übergewicht hat über kurz oder lang immer Folgen. Die Legende von den gesunden Dicken („Happy Obese“) ist inzwischen widerlegt – gesichert ist, dass Adipöse eine deutlich niedrigere Lebenserwartung haben: Sie sterben drei bis zehn Jahre früher als Normalgewichtige (OECD 2019).
Ein anderes Problem sind soziale Vorurteile gegen übergewichtige Menschen: Betroffene werden oft stigmatisiert und sogar diskriminiert – im Alltag, aber auch von medizinischem Fachpersonal. Sie gelten etwa als willensschwach oder disziplinlos, die Schuld an dem starken Übergewicht wird ihnen persönlich zugeschoben (DAG 2021b).
Volkswirtschaftliche Folgen
Direkte Kosten entstehen volkswirtschaftlich durch die Behandlung der Betroffenen, indirekte durch häufige Krankschreibungen, Frührente sowie die geringere Produktivität von Adipösen. In einer Übersichtsstudie aus dem Jahr 2017 wurden die Kosten von Übergewicht und Adipositas auf 45,15 Mrd. Euro im Mittel berechnet, davon entfielen 55 Prozent auf direkte und 45 Prozent auf indirekte Kosten (Konnopka et al. 2018). In einer Studie aus der Region Augsburg aus dem Jahr 2016 ergab sich zudem ein Anstieg der Kosten mit steigendem BMI: die Kosten verdoppelten sich von BMI 25 zu BMI 40 (Yates et al. 2016).
Wie kann man Adipositas behandeln?
Adipositas ist bisher nicht heilbar – dieses Fazit ziehen Experten aus der intensiven Forschung der letzten Jahre. Die Ursachen sind zu komplex und alle Versuche, Fettleibige auf Dauer von Übergewicht zu befreien, blieben bisher ohne Erfolg. Medizin und Ernährungsberatung können oft nur Begleiterkrankungen behandeln und die schlimmsten Folgen mildern. Denn auch wenn das Abnehmen in einem Gewichtsreduktionsprogramm gelingt, fallen die Betroffenen oft in alte Essmuster zurück. Meist müssen sie daher ein Leben lang auf ihr Gewicht achten.
Konservative oder operative Therapie
Generell kennt die Medizin bei der Therapie von Adipositas den konservativen und den operativen Weg. Gestartet wird in aller Regel mit der konservativen Therapie, in den Leitlinien „Multimodale Basistherapie“ genannt (DAG 2024). Der erste Schritt ist das Abnehmen, dabei geht es allerdings weder um das Wunschgewicht noch um ein Ideal. Ziel ist stattdessen der individuelle Gewichtsverlust, um Begleiterkrankungen und Lebensqualität zu verbessern. Dabei strebt eine Ernährungstherapie immer eine dauerhafte Ernährungsumstellung an, keine kurzfristige Diät. Das bedeutet, dass die Betroffenen Kalorien maßvoll reduzieren: Hungerkuren gibt es in der Adipositastherapie nicht. Gleichzeitig soll mehr Bewegung dafür sorgen, dass der Körper mehr Energie verbraucht.
Die multimodale Basistherapie
Die Basistherapie kombiniert drei Bereiche: Ernährung, Bewegung und Verhalten. Diese drei Module bilden in jedem Stadium der Erkrankung den Grundstein der Behandlung.
- Ernährung: Täglich sollten etwa 500–600 kcal eingespart werden, um realistisch 0,5 kg pro Woche über 3–6 Monate abzunehmen, danach steht Gewichterhaltung im Vordergrund. Empfohlen wird z. B. eine Ernährung nach den DGE-Empfehlungen, mit Fleisch oder vegetarisch, oder eine Mittelmeer-Kost. Eine vegane Ernährung ist mit einem geringerem Adipositas-Risiko verbunden (Rees et al. 2021), dafür müssen bestimmte Nährstoffe zugeführt werden. Intervallfasten wirkt kurzfristig (6 Monate) positiv, es ist aber unklar, ob der Effekt langfristig relevant ist.
- Bewegung: hat zahlreiche positive gesundheitliche Effekte, zum Abnehmen sollten es aber mindestens 5 Stunden die Woche (bzw. 30–60 Minuten am Tag) Ausdauertraining sein, immer mit Rücksicht auf körperliche Beschwerden.
- Verhalten: Mit geschulten Therapeutinnen und Therapeuten können Betroffene ungünstige Verhaltensmuster, ihre Vorgeschichte und Motivation besprechen. Gleichzeitig lernen sie, sich selbst zu beobachten und mit Rückfällen umzugehen. Essstörungen wie zwanghafte Essanfälle oder eine Bulimie bedürfen einer Therapie.
Neue Behandlungsoptionen: Abnehmspritze und Abnehm-Apps
Apps zum Abnehmen: Weitere Bausteine in der Behandlung sind digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs), zum Beispiel die Apps zanadio und Oviva Direkt. Sie können ärztlich verschrieben werden, die Kassen übernehmen dann die Kosten. DiGAs werden allerdings nur für einen Zeitraum von maximal 3 Monaten verordnet, was für eine adäquate Behandlung nicht einmal ansatzweise ausreicht. Mehr Informationen gibt es im E-Test: Yazio, Noom & Co. – Wie gut sind sie wirklich?
Abnehmspritze: Die sogenannte „Abnehmspritze“ kommt erst dann zum Einsatz, wenn mit der Basistherapie aus Bewegung, Ernährungsänderung und Verhaltensumstellung keine ausreichende Gewichtsreduktion erzielt wird. Das liegt an den hohen Kosten, die nicht von den Krankenkassen übernommen werden, aber auch an den Nebenwirkungen. Ausführliche Informationen haben wir im E-Thema zur Abnehmspritze zusammengetragen.
Welche Operationen gibt es bei Adipositas?
Bei stark Adipösen reicht die Basistherapie oft nicht aus, Operationen können dann helfen.
Magenverkleinerung: Bei den Standardverfahren wird ohne große Schnitte per Schlüssellochtechnik operiert (laparoskopisch). Ziel ist eine Verkleinerung des Magens um ca. 75 Prozent: Ein Teil des Magens wird entfernt, der restliche Magen mit einem Klammernahtgerät verschlossen. Danach passt nur noch wenig Nahrung in den Restmagen, die Folge: Fast immer verschwindet ein Diabetes Typ 2, sodass auf Insulin verzichtet werden kann. Nach 1–2 Jahren haben die Betroffenen 30–60 Prozent ihres Übergewichts verloren, auf lange Sicht können es über 80 Prozent sein (Fink et al. 2022).
Magenbypass: Bei einem anderen Verfahren, dem Magenbypass, wird ein Umweg um Magen und Teile des Darms gelegt. So verwertet der Darm die Nahrung schlechter und weniger Kalorien gelangen in den Körper. Möglich sind auch aufeinander aufbauende Operationen.
Folgen der Operationen: Nach allen Operationen verändern sich der Hormonhaushalt des Magen-Darm-Trakts sowie Hunger- und Sättigungsgefühl. Auch auf andere Organe wirkt sich die Umstellung der Hormone aus, darunter Leber, Fettgewebe und Muskeln. Die schweren Eingriffe in den Verdauungstrakt beeinflussen das ganze Leben. Auch bergen sie – wie jede Operation – Komplikationen und Risiken. Fast immer müssen die Betroffenen nach der Klinik dauerhaft Nahrungsergänzungsmittel nehmen, bestimmte Ernährungsweisen einhalten und streng nach Plan essen. Manchmal schließt sich noch eine kosmetische Operation an und überschüssige Haut wird entfernt, die nach dem Abnehmen schlaff herunterhängt.
Voraussetzungen für chirurgische Eingriffe: Wann die Voraussetzung für solche Eingriffe gegeben ist, regelt die Behandlungsleitlinie „Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen“ (DGAV 2018, aktuell in Überarbeitung). In der Regel ist schwerste Fettleibigkeit ab BMI 40 mit vierzig Kilo Übergewicht und mehr Grund für die Operation. Falls Betroffene schwere Begleiterkrankungen haben, kann man auch schon bei BMI 35 operieren. Allerdings müssen erst die Möglichkeiten der Basistherapie ausgeschöpft sein – selten empfehlen Medizinerinnen und Mediziner eine Operation, ohne vorher den konservativen Weg zu gehen. Möglich wäre das aber bei einem BMI über 50 oder bei besonders schweren Gesundheitsproblemen.
Adipositas: Operationen in Deutschland zu spät und zu selten
Auch wenn immer mehr Menschen in Deutschland adipös sind und öfter operiert wird: Aus Sicht von Experten gibt es hierzulande eher wenige Eingriffe bei Adipositas. Eine Studie aus dem Jahr 2014 hat gezeigt, dass Deutschland im europäischen Vergleich mit Ländern wie Belgien, Frankreich und England das Schlusslicht bildet (Borisenko et al. 2014). Dabei sind die klinischen Leitlinien für die Adipositasbehandlung in den Ländern praktisch gleich – nicht aber die Zulassungskriterien für eine Operation.
Die Studienautoren halten das komplizierte Reglement der deutschen Krankenversicherungen für die Ursache. So verlangen die Kassen vor der Operation in der Regel ein Gutachten von ihrem medizinischen Dienst – das kostet Zeit. Adipositas-Expertinnen haben öffentlich geäußert, dass in Deutschland zu spät und zu selten operiert wird (Trauner 2016, Lenzen-Schulte 2018). Auch für die Basistherapie gilt, dass zu wenig und vor allem nicht rechtzeitig und nicht lange genug behandelt wird (Deutscher Ärzteverlag GmbH 2022).
Adipositas als Krankheit anerkannt: Was passiert jetzt?
Die Anerkennung von Adipositas als chronische Krankheit durch den Deutschen Bundestag 2020 wirkte sich aus: Das Gesundheitsministerium schloss sich an, zuvor hatte auch das Bundessozialgericht entschieden, dass Adipositas eine behandlungsbedürftige Krankheit sei. Der Deutsche Bundestag beschloss außerdem bereits 2021, eine strukturierte Behandlung für die Adipositas entwickeln zu lassen, ein sogenanntes Disease-Management-Programm (DMP) (gesundheitsinformation.de 2020). Dabei erkannte das Parlament auch die Grade der Adipositas an, gekennzeichnet durch den BMI. DMPs gibt es bereits für einige chronische Krankheiten, darunter Asthma und Diabetes.
Für Adipositas wurde ein solches Programm im Jahr 2024 endlich auf den Weg gebracht (KBV 2024), auch für Kinder und Jugendliche (DAG 2024). Der Fokus wird auf der konservativen bzw. Basistherapie liegen. Am konkreten Konzept für die Praxis wird Stand Dezember 2024 allerdings noch gearbeitet (DAG 2024), sodass es schwer einzuschätzen ist, ob dann alle Patientinnen und Patienten die Behandlung bekommen, die sie brauchen und die ihnen zusteht.
Schwierigkeiten beim Zugang zu Adipositastherapie
Schon die Basistherapie mit Ernährungsberatung und Bewegungstraining bezuschussen die Krankenkassen unterschiedlich und oft nur teilweise. Auch bestehen Unterschiede zwischen den Bundesländern, damit hängt die richtige Behandlung eher vom Wohnort ab als von der Diagnose. Nur ein einziges Adipositas-Schulungsprogramm ist bereits von allen Krankenkassen anerkannt: das DOC-WEIGHT®-Programm, entwickelt vom Bundesverband Deutscher Ernährungsmediziner und dem Verband Deutscher Ernährungsassistenten VDD (BDEM 2023). Doch eine Therapie nach DOC WEIGHT® gibt es nicht immer in der Nähe des eigenen Wohnorts – und in der Regel erstatten die Kassen selbst für DOC WEIGHT® nur einen Teil der Kosten. Auch andere Programme wie M.O.B.I.L.I.S. werden nicht von allen Kassen übernommen (Berg et al. 2008).
Manchen Betroffenen hilft ein Klinikaufenthalt: Für viele Menschen mit Adipositas kann das ein wichtiger Anstoß sein, um etwas Gewicht zu verlieren, Verhaltensprobleme zu besprechen oder ohne Hemmungen mit anderen ins Schwimmbad gehen zu können. Doch es gibt nicht genügend Plätze, und nach einer Reha-Nachsorge hängt der langfristige Erfolg von Therapie und Betreuung im Alltag ab.
Fazit: Adipositas ist nicht heilbar – aber überwindbar
Adipositas ist mehr als lediglich eine Frage der richtigen Ernährung: Es handelt sich um eine chronische und fortschreitende Erkrankung mit vielfältigen Ursachen. Eine ursächliche Heilung ist bisher nicht möglich; Fachleute können lediglich die daraus resultierenden Folgen behandeln. Jedoch erhalten nicht alle Betroffenen eine angemessene Therapie gemäß den medizinischen Leitlinien, insbesondere eine rechtzeitige Ernährungstherapie. Sogar bei schwerster Fettleibigkeit sind operative Eingriffe in Deutschland selten. In Anbetracht der gegenwärtigen Adipositas-Epidemie stellt dies eine besondere Herausforderung dar.
Text: KErn
Wissenschaftliche Recherche: Katharina A. Goerg
Mehr zu Adipositas
Weiterführende Links
- AdipositasHilfe Deutschland e.V.
- Adipositas Verband Deutschland e.V.
- Integriertes Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) AdipositasErkrankungen Leipzig
- Diabetes- und Adipositas-Zentrum Heidelberg
- DAG – Deutsche Adipositas-Gesellschaft e.V.: Definition Übergewicht und Adipositas
- NCD-RisC (2016). Prognostizierter Anteil adipöser Erwachsener in ausgewählten Ländern nach Geschlecht im Jahr 2025. Statista
- RKI – Robert Koch Institut: Adipositas und Übergewicht
- WHO – World Health Organization: Obesity and overweight
Nachweise
BDEM – Bundesverband Deutscher Ernährungsmediziner e.V. (2023): DOC WEIGHT® – Multimodales Programm zur Therapie der Adipositas
Berg et al. (2008): Das M.O.B.I.L.I.S.-Programm. Adipositas – Ursachen, Folgeerkrankungen, Therapie 02(20):90–95
Borisenko et al. (2014): Clinical indications, utilization, and funding of bariatric surgery in Europe. Obes surg 25(8):1408–1416
DAA – Deutsche Adipositas Allianz (2021): Adipositas – eine ignorierte und stigmatisierte Krankheit (Erkrankung). Positionspapier der DAS in Kooperation mit der Arbeitsgruppe „Multidisziplinäres Konsensus Positionspapier WOD“ vom 4.3.2021
DAG – Deutsche Adipositas-Gesellschaft e.V. (2024): S3-Leitlinie Adipositas – Prävention und Therapie, Version 5.0
DAG – Deutsche Adipositas-Gesellschaft e.V. (2022): Forsa-Umfrage zeigt Folgen der Corona-Krise für Kinder: Gewichtszunahme, weniger Bewegung, mehr Süßwaren – jedes sechste Kind ist dicker geworden. Pressemitteilung vom 31.5.2022
DAG – Deutsche Adipositas-Gesellschaft e.V. (2021a): Adipositas bei Kindern: Eine „stille“ Pandemie. Pressemitteilung vom 24.06.2021
DAG – Deutsche Adipositas-Gesellschaft e.V. (2021b): Eine Empfehlung der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG) zum Welt-Adipositas-Tag. Pressemitteilung vom 4.3.2021
DANK – Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (2023): Vier Maßnahmen für eine wirkungsvolle und bevölkerungsweite Prävention
Deutscher Ärzteverlag GmbH (2022): Experten fordern bessere Versorgung für Menschen mit Adipositas. Dtsch Ärztebl, Pressemitteilung vom 12.5.2022
Destatis (2021): Frauen und Männer mit Übergewicht/Adipositas
DGAV – Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (2018): S3-Leitlinie: Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen, Version 2.3. AWMF-Register Nr. 088-001
DGE – Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (2020): 14. DGE-Ernährungsbericht. S. 93 ff.
Fiedler et al. (2019): Übergewicht und Adipositas: Thesen und Empfehlungen zur Eindämmung der Epidemie. Leopoldina Diskussion Nr. 22
Fink et al. (2022): Adipositaschirurgie – Gewichtsverlust, metabolische Veränderungen, onkologische Effekte und Nachsorge. Dtsch Ärztebl 119(5):70–80
gesundheitsinformation.de (2020):Was sind Disease-Management-Programme (DMP)? IQWiG – Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
Hellbardt et al. (2017): Edmonton Obesity Staging System (EOSS) – A descriptive analysis of obese patients on the multimodal weight loss program DOC WEIGHT®. Ernaehrungs Umschau int 6/2017
Konnopka et al. (2018): Die Kosten von Übergewicht und Adipositas in Deutschland – ein systematischer Literaturüberblick. Das Gesundheitswesen 80(05):471–481
Lenzen-Schulte M (2018): Therapie der Fettleibigkeit – Nur Hürden statt Hilfe für Adipöse. Dtsch Ärztebl 115(11):A-484–A488
MPG – Max-Planck-Gesellschaft (2016): Epigenetischer Schalter für Übergewicht. Pressemitteilung vom 28.1.2016
OECD – Organization for Economic Cooperation and Development (2019): The heavy burden of obesity – The economics of prevention. OECD Health Policy Studies
Phelps et al. (2024): Worldwide trends in underweight and obesity from 1990 to 2022: a pooled analysis of 3663 population-representative studies with 222 million children, adolescents, and adults. Lancet 403(10431):1027–1050
Rees et al. (2021): Vegan dietary pattern for the primary and secondary prevention of cardiovascular diseases. Cochrane Database Syst Rev 2:CD013501
Schienkiewitz et al. (2022): Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen in Deutschland – Ergebnisse der Studie GEDA 2019/2020-EHIS. J Health Monit 7(3)
Trauner S (2016): Adipositas – Messer ist die letzte Chance. Pressemitteilung vom 16.11.2016
WHO – World Health Organization (2000): Obesity: Preventing and managing the globel epidemic. WHO Technical Report Series 894
Yates et al. (2016): The Economic Burden of Obesity in Germany: Results from the Population-Based KORA Studies. Obes facts 9(6):397–409
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Stand: Dezember 2024