Dr. Tilman Reinhardt
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Insekten – Neuartige Lebensmittel in der Europäischen Union

Im Interview mit Dr. Tilman Reinhardt von der Universität Bayreuth geht es um Insekten, die als Novel Food in der Europäischen Union reguliert sind.

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Insekten gehören in vielen Ländern zu den traditionellen Speisen, jedoch nicht in der Europäischen Union. Um Insekten als Lebensmittel auf den europäischen Markt bringen zu können, müssen sie als neuartige Lebensmittel (Novel Food) zugelassen werden. Einige Insekten sind seit längerem zum menschlichen Verzehr für den europäischen Markt zugelassen, Anfang 2023 kamen weitere Arten hinzu. Dr. Tilman Reinhardt informiert über Zulassungen und über generelle Regelungen zu neuartigen Lebensmitteln.

Das Interview wurde von Matthias Will von der Akademie für Neue Medien (Bildungswerk) e.V. und Helen Regina als Masterstudentin von Food Quality and Safety an der Universität Bayreuth durchgeführt, für den Ernährungsradar produziert und im Februar 2024 veröffentlicht.



Deutsches Transkript

Heuschreckenriegel, Grillenmehl oder gar Käferburger: Werden solche exotischen Nahrungsmittel künftig auch in Europa selbstverständlich sein? Dieser Frage wollen wir in unserem heutigen Interview nachgehen. Das Interview findet im Rahmen des Projekts Ernährungsradar statt, bei dem die Universität Bayreuth und die Akademie für Neue Medien gemeinsam spannende Ernährungsthemen beleuchten. Unser Schauplatz ist heute die historische Apotheke hier im wunderschönen Mönchshof und wir freuen uns sehr, hier heute Gast sein zu dürfen.

Herr Doktor Reinhardt, haben Sie schon mal Insekten gegessen?

Ja, tatsächlich. Ich habe vor einigen Jahren in Vietnam gearbeitet für ein paar Monate und dort gab es öfter mal verschiedenartige Insekten. Und in letzter Zeit haben wir auch öfter mal am Lehrstuhl für Lebensmittelrecht die neuen Insekten, die gerade zugelassen wurden, probiert. Da gibt es einen Kollegen, der kann die ganz gut zubereiten.

Wie hat es Ihnen geschmeckt?

Also ich muss ehrlich sagen, in Vietnam hat es mir oft gut geschmeckt, da war das auch gar nichts Besonderes. Ich habe das gar nicht als etwas Ungewöhnliches wahrgenommen oder nicht ungewöhnlicher als alles andere Essen, was ich nicht kannte und was es dort gab. Wenn wir die jetzt hier in letzter Zeit zubereitet haben, dann hat man sich natürlich darauf fokussiert und dann denkt man vielmehr nach und dann fragt man sich, ob es einen dann wirklich so gut schmeckt. Aber man braucht natürlich auch immer gute Rezepte.

Essbare Lebensmittel oder essbare Insekten sind auch im Anflug auf den deutschen Lebensmittelmarkt. Geben Sie uns doch mal einen Überblick. Was darf denn alles innerhalb Europas, innerhalb der EU verzehrt werden?

Also es gibt bisher vier Insektenarten, die zugelassen sind. Das sind zwei Arten von Mehlwürmern, dann die Wanderheuschrecke und das Heimchen. Jeweils in verschiedenen Zubereitungsformen: Tiefgefroren, als Pulver usw. Und dann gibt es noch acht weitere, wo jetzt aktuell Zulassungsverfahren laufen und noch eine Risikobewertung durchgeführt wird.

In zahlreichen Ländern außerhalb Europas sind Insekten auf dem Speiseteller längst eine Selbstverständlichkeit. Aber in Deutschland ist der Verzehr von Insekten bei weitem noch nicht üblich. Hat das kulturelle Gründe oder liegt es auch an der Regulierung?

Also ich denke, überwiegend sind es natürlich kulturelle Gründe, weil es eben nicht grundsätzlich verboten ist. Man kann eine Zulassung bekommen und erst in jüngster Zeit hat sich überhaupt erst jemand um diese Zulassung bemüht. Trotzdem ist es natürlich so, dass es eben ohne die Zulassung als Novel Food nicht geht und entsprechend ist der Markt limitiert. Also man kann einfach ohne diese Zulassung die Produkte nicht auf den Markt bringen.

Was sind die Vorteile von Novel Foods? Könnten sie etwa einen Beitrag zum Klimaschutz leisten?

Ja, also ich bin natürlich nur Jurist, aber die Studien sagen, dass die Insekten für den Proteingehalt, den sie haben, vergleichsweise wenig Fläche verbrauchen, vergleichsweise wenig Wasser, vergleichsweise wenig Futtermittel. Insofern besteht erstmal großes Potenzial. Es werden auch verschiedene gesundheitliche Vorteile von insektenbasierter Ernährung dargelegt.

Aber das Ganze ist natürlich dann immer tricky, wenn man in die Details schaut. Also dann muss man natürlich wirklich ganz genau vergleichen: Wo kommen sie her? Wie werden sie produziert? In welches Netz an Verwendung fügen sie sich ein? Substitutionseffekte usw. Also eine ganz pauschale Aussage ist schwierig und vor allen Dingen müssen sie sich natürlich, um einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, im sehr großen Maße durchsetzen.

Insekten, weil die Frage auch auf Novel Foods im Allgemeinen abzielte, sind nur ein neuartiges Lebensmittel, was da möglicherweise Vorteile verspricht. Es gibt auch noch sehr viele andere Arten alternativer Proteine, zum Beispiel basierend auf Mycelium, Laborfleisch, das heißt zelluläre Landwirtschaft oder pflanzenbasiert. Und man muss sozusagen immer die Gesamtheit betrachten und sich fragen, welches ist letztlich das erfolgversprechendste.

Glauben Sie, dass Insekten mittelfristig wesentlicher Bestandteil der Ernährung hierzulande werden können?

Auch das wieder eine Frage, wo ich nicht hundertprozentig kompetent oder vom Fach her zuständig bin. Also ich denke, es gibt schon Vorbehalte. Es hat sich jetzt am Markt auch noch nicht im riesigen Maße durchgesetzt. Es gibt aber gleichzeitig schon ein großes Interesse daran, zu investieren. Es gibt, außer den Novel Food-Zulassungen, noch ein paar andere rechtliche Hürden, die es vielleicht schwierig machen, wenn es um Hygienestandards geht. Zum Beispiel die Frage: Was dürfen die Insekten denn fressen, bevor wir sie essen? Oder wenn sie als Futtermittel eingesetzt werden, bevor sozusagen andere Tiere sie essen. Aktuell ist das Potential, denke ich, größer im Futtermittelbereich, also wenn Insekten als Futtermittel eingesetzt werden. Es bleibt abzuwarten, wie sich die VerbraucherInnen entscheiden.

Wo kann man denn eigentlich essbare Insekten probieren?

Also die, die zugelassen sind, kann man einfach kaufen. Es gab sie auch hier im Supermarkt; jetzt gerade nicht mehr. Es gibt Produkte, die Insektenmehl enthalten. Der Kollege, der sie zubereitet, kauft sie immer im Internet.

Ist die Herkunft von Speiseinsekten eigentlich rechtlich geregelt?

Die Herkunft, also die Frage, wo sie herkommen, erstmal nicht. Das ist eine komplizierte Frage. Wenn ein Produkt zugelassen ist, dann ist es zugelassen, dann kann es prinzipiell von überall herkommen, also es kann außerhalb Europas produziert werden oder innerhalb Europas. Soweit ich weiß, sind die großen industriellen Erzeugungsanlagen aktuell in der EU.

Es gibt ein Problem, eine Herausforderung, dass die Zulassungen, die es im Moment gibt, mit dem sogenannten Datenschutz versehen sind. Das heißt, nur die Unternehmen, die tatsächlich die Zulassung beantragt haben, verfügen über die Daten, die die Unbedenklichkeit nachweisen. Und wenn jetzt ein anderer Hersteller versuchen würde, auch dasselbe Produkt auf den Markt zu bringen, dann müsste er erstmal selbst eine Zulassung beantragen und möglicherweise selbst diese Daten generieren. Auch das ist ein Punkt, der im Moment sozusagen die Marktentwicklung möglicherweise ein bisschen einschränkt.

Welche Risiken gibt es beim Verzehr von Insekten?

Soweit mir bekannt, gibt es gewisse Allergierisiken, ähnlich wie bei Krustentieren. Es ist aber nicht so, dass beispielsweise bei der Allergenkennzeichnung generell darauf hingewiesen werden müsste, dass hier ein potentielles Allergierisiko besteht, weil es ein Insekt ist. Natürlich muss, wo ein Insekt enthalten ist, auch darauf stehen, dass Insekten enthalten sind. Also das ergibt sich schon aus den allgemeinen Regelungen über die Inhaltsstoffe.

Gibt es bestimmte Kennzeichnungspflichten, zum Beispiel wenn zu Pulver vermahlene Insekten anderen traditionellen Lebensmitteln wie zum Beispiel Brot beigemischt werden?

Also, wie eben gesagt, gibt es keine grundsätzliche Pflicht darauf zu schreiben: „Achtung Insekt!“. Trotzdem besteht natürlich die allgemeine Pflicht, die Verbraucherinnen und Verbraucher wahrheitsgemäß über die Inhaltsstoffe zu informieren. Und da muss dann auch erwähnt werden, dass Insektenprotein enthalten ist.

Welcher Tierschutz gilt bei der Zucht von Speiseinsekten?

Das ist in diesem Fall nationales Recht, also deutsches Recht, kein europäisches Recht. Es gelten erstmal die allgemeinen tierschutzrechtlichen Vorschriften, also vor allen Dingen das Gebot, kein unnötiges Leiden zuzufügen. Es gibt, soweit ich informiert bin, noch keine speziellen Regeln für Insekten und das ist auch noch ein offenes Forschungsfeld.

Also man ging, glaube ich, sehr lange davon aus, dass die Insekten aufgrund ihres Nervensystems sozusagen erstmal überhaupt keinen Schmerz verspüren können. Jetzt gibt es Studien – natürlich immer, wenn das Interesse größer ist, dann schaut man auch erstmal genauer hin – die da vielleicht in eine andere Richtung deuten. Aber das ist noch ein offenes Feld.

Wenn Sie der EU einen ganz konkreten Vorschlag in puncto Novel Food machen müssten, was wäre Ihnen denn am wichtigsten?

Also wir machen gerade eine größere Untersuchung zu Reformpotentialen im Bereich Novel Food. Wir haben da auch eine große Umfrage gemacht mit fast 100 Unternehmen und anderen Beteiligten im Sektor. Die tiefhängenden Früchte sind eben Sachen wie Genehmigungsprozesse selbst, bessere Kommunikation, Vorab-Kommunikation der europäischen Lebensmittelsicherheitsagentur. Was auch sehr helfen würde, wäre die Möglichkeit, Verkostungen durchzuführen, auch vor der Zulassung.

Und das sind auch Ansätze, die in anderen Ländern jetzt schon gemacht werden. Die dickeren Bretter, die mit Blick auf die Zukunft und gerade vielleicht auch bei Insekten interessant wären, sind tatsächlich kollektive Zulassungen. Also nicht nur jede spezielle Art, weil es gar nicht klar ist, ob das Risiko jedes Mal so anders ist. Und auch dieser Datenschutz, könnte man sich eben fragen, einerseits schafft es natürlich einen Anreiz für die innovativen Unternehmen, weil sie dadurch eine Exklusivität am Markt haben. Aber gleichzeitig hindert es dann möglicherweise auch für einen gewissen Zeitraum andere daran, an diesen Produkten weiterzuarbeiten und da weiterzukommen.


English translation of the transcript

Grasshopper bars, cricket flour or even beetle burgers: will such exotic foods be standard in Europe in the future? This is the question we want to explore in today’s interview. The interview is part of the Ernährungsradar project, in which the University of Bayreuth and the Akademie für Neue Medien are working together to shed light on exciting nutritional topics. Our venue today is the historic pharmacy here in the beautiful Mönchshof and we are delighted to be guests here today.

Dr Reinhardt, have you ever eaten insects?

Yes, actually. I worked in Vietnam for a few months a few years ago and there we often had different kinds of insects. And recently we’ve also often tried the new insects that have just been authorised at the Chair of Food Law. There’s a colleague who is quite good at preparing them.

How did it taste to you?

Well, I have to be honest, I often liked it in Vietnam, it wasn’t anything special. I didn’t perceive it as anything unusual or any more unusual than any other food that I didn’t know and that was available there. When we’ve cooked it here recently, you’ve naturally focussed on it and then you think about it and ask yourself whether it really tastes that good. But of course you always need good recipes.

Edible foods or edible insects are also making their way onto the German food market. Why don’t you give us an overview? What is allowed to be consumed within Europe, within the EU?

So far there are 4 types of insects that are permitted. These are 2 types of mealworm, then the migratory locust and then the cricket. Each in different forms of preparation: Frozen, as a powder etc. And then there are 8 more, for which authorisation procedures are currently in progress and a risk assessment is still being carried out.

In many countries outside Europe, insects have long been a common item on the menu. But in Germany, the consumption of insects is still far from common. Are there cultural reasons for this or is it also due to regulation?

Well, I think it’s mainly for cultural reasons, of course, because it’s not generally prohibited. You can get a authorisation and it’s only recently that anyone has tried to get this authorisation. Nevertheless, it is of course the case that it is not possible without authorisation as a novel food and the market is limited accordingly. So you simply can’t bring the products onto the market without this authorisation.

What are the advantages of novel foods? Could they contribute to climate protection?

Yes, of course I’m just a lawyer, but the studies say that insects use comparatively little land, comparatively little water and comparatively little feed for the protein content they have. In this respect, there is great potential for the moment. Various health benefits of an insect-based diet have also been described.

But the whole thing is of course always tricky when you look at the details. So then of course you really have to make a very precise comparison: Where do they come from? How are they produced? What network of utilisation do they fit into? Substitution effects, etc. So it is difficult to make a generalised statement and, above all, in order to make a contribution to climate protection, they must of course become established on a very large scale.

Insects, because the question was also aimed at novel foods in general, are just one novel foodstuff that possibly promises advantages. There are also many other types of alternative proteins, for example based on mycelium, laboratory meat, i.e. cellular agriculture or plant-based. And you always have to look at the whole picture, and ask yourself which is ultimately the most promising.

Do you believe that insects could become an essential part of the diet in this country in the medium term?

That’s another question where I’m not one hundred per cent competent or specialised. So I think there are certainly reservations. It has not yet become established on the market to a great extent. At the same time, however, there is a great interest in investing in it. In addition to the novel food authorisations, there are a few other legal hurdles that may make it difficult when it comes to hygiene standards. For example, the question of what the insects are allowed to eat before we eat them. Or if they are used as animal feed before other animals eat them. At the moment, I think the potential is greater in the animal feed sector, i.e. when insects are used as animal feed. It remains to be seen what consumers will decide.

Where can people actually try edible insects?

Well, you can buy the ones that are approved. They were also available here at the supermarket. Not any more at the moment. There are products that contain insect flour. The colleague who prepares them always buys them from the internet.

Is the origin of edible insects actually regulated by law?

The origin, i.e. the question of where they come from, is not at first. That’s a complicated question. If a product is authorised, then it is authorised, and in principle it can come from anywhere, i.e. it can be produced outside Europe or within Europe. As far as I know, the large industrial production plants are currently in the EU.

There is a problem, a challenge, in that the authorisations that exist at the moment are subject to so-called data protection. This means that only the companies that have actually applied for authorisation have the data that proves their safety. And if another manufacturer tried to launch the same product on the market, they would first have to apply for authorisation themselves and possibly generate this data themselves. This is another point that may be restricting market development a little at the moment.

What are the risks of consuming insects?

As far as I know, there are certain allergy risks, similar to crustaceans. However, it is not the case that the allergen labelling, for example, generally has to indicate that there is a potential allergy risk simply because it is an insect. Of course, if it contains an insect, it must also state that it contains insects. So that follows from the general regulations on ingredients.

Are there certain labelling requirements, for example when insects that have been ground into powder are added to other traditional foods such as bread?

Well, as I just said, there is no general obligation to write „Caution insect!“ on the label. Nevertheless, there is of course a general obligation to inform consumers truthfully about the ingredients. And it also has to be mentioned that it contains insect protein.

What animal welfare regulations apply to the breeding of edible insects?

In this case, it is national law, i.e. German law, not European law. First of all, the general animal welfare regulations apply, i.e. above all the requirement not to inflict unnecessary suffering. As far as I know, there are still no special regulations for insects and this is still an open field of research.

For a very long time, I believe, it was assumed that insects cannot feel any pain at all due to their nervous system. Now there are studies – of course, whenever there is greater interest, people take a closer look – that perhaps point in a different direction. But that is still an open field.

If you had to make a very specific proposal to the EU with regard to novel food, what would be most important to you?

Well, we are currently conducting a major study on the potential for reforms in the area of novel food. We have also conducted a large survey with almost 100 companies and other stakeholders in the sector. The low-hanging fruit are things like the authorisation processes themselves, better communication, advance communication from the European Food Safety Authority. What would also help a lot would be the possibility of carrying out tastings, even before authorisation.

And these are also approaches that are already being taken in other countries. The thicker planks, which would be interesting with a view to the future and perhaps especially for insects, are actually collective authorisations. So not just each specific species, because it is not at all clear whether the risk is so different each time. And also this data protection, you could ask yourself, on the one hand it naturally creates an incentive for innovative companies because it gives them exclusivity on the market. But at the same time, it may also prevent others from continuing to work on these products for a certain period of time and making progress.


Empfohlene Literatur zum Thema

BVL – Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (2023): Novel Food – Insekten als neuartige Lebensmittel: Was ist zu beachten?

European Commission (2023): Approval of fourth insect as a Novel Food: Questions and answers

Wüst J (2013): Insekten zum menschlichen Verzehr – neue EU-Zulassungen für Insekten in Lebensmitteln. Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit

Vapnek et al. B (2020): Regulatory and Legislative Framework for Novel Foods. Campus Kulmbach Legal Working Papers


 

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