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Nudging – Wie das Umfeld unser Ernährungsverhalten beeinflusst

Nudging-Strategien variieren gezielt unser Umfeld und können auch im Alltag das Ernährungsverhalten positiv beeinflussen.

Der Medienbeitrag wurde von Katharina Weiß im Rahmen ihres Studiums der Lebensmittel- und Gesundheitswissenschaften (M. Sc.) an der Universität Bayreuth erstellt und dem Projekt Ernährungsradar für den Bereich E-Tutor zur Verfügung gestellt. Der Beitrag wurde im September 2023 veröffentlicht.

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Wie die Umgebung deine Ernährung beeinflusst – und wie du dich selbst zu gesünderem Essen überlisten kannst

Denk doch einmal kurz darüber nach, was du heute schon gegessen hast. Gab es mittags in der Kantine wie üblich Currywurst mit Pommes? Oder hast du dich am Schreibtisch immer wieder dabei ertappt, wie du in die Pralinenschachtel neben dir gegriffen hast? Unsere Gewohnheiten und unsere Umwelt haben großen Einfluss darauf, wie wir uns ernähren. Heute geht es darum, wie das zum Beispiel in Kantinen oder Mensen genutzt werden kann, um uns zu einer gesünderen Ernährungsweise zu bewegen. Und du erfährst, wie du dieses Wissen auch bei dir zuhause anwenden kannst.

Warum interessiert Politiker*innen unsere Ernährung?

Wir treffen jeden Tag viele Entscheidungen, die allermeisten davon unbewusst und aus Gewohnheit: Welchen Weg wir morgens zur Arbeit nehmen, welche Produkte wir auf dem Heimweg im Supermarkt einkaufen. Obwohl wir uns jedes Mal vornehmen, keine Chips zu kaufen, landet die Tüte doch immer wieder im Einkaufswagen. Eigentlich ist den meisten von uns die Bedeutung einer gesunden Ernährung bewusst. Laut dem Ernährungsreport 2020 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft ist diese 90 Prozent der Deutschen wichtig. Gleichzeitig konsumieren wir aber zum Beispiel zu viel Zucker. Ähnliche Diskrepanzen zeigen sich in den Bereichen Bewegung oder Umweltschutz. Wir wissen oft genau, was richtig ist. Trotzdem schaffen wir es im Alltag nicht immer, uns entsprechend zu verhalten.

Was für dich selbst vielleicht erst einmal nur ein bisschen ärgerlich ist, hat für unsere Gesellschaft weitreichende Folgen. Über die Hälfte der Deutschen ist übergewichtig. Übergewicht hat häufig negative Folgen für die Gesundheit. So begünstigt es beispielsweise die Entstehung von Krankheiten wie Diabetes Typ II oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbunden mit Herzinfarkt. Fast 20 Prozent der jährlichen Todesfälle in Deutschland sind auf eine schlechte Ernährung zurückzuführen. Es sollten also Lösungen gefunden werden, die nachhaltig zu einem besseren Gesundheitsverhalten beitragen. Das gilt als eine der größten Herausforderungen der öffentlichen Gesundheitsförderung.

Politiker*innen sind sich der schwerwiegenden Folgen von Übergewicht für Betroffene, aber auch für die Gesellschaft bewusst. Sie versuchen darum, uns mit verschiedenen Instrumenten bei einer gesünderen Ernährung zu unterstützen. Zum Beispiel hat Großbritannien 2018 eine Zuckersteuer auf gesüßte Getränke wie Limonaden eingeführt. Die Regierung bietet damit finanzielle Anreize für die Auswahl gesünderer – also zuckerarmer – Getränke. Andere Länder setzen auf Verkaufsverbote. So ist in manchen Orten in den USA der Verkauf von gesüßten Getränken an Schulen verboten. Repressive Maßnahmen des Staates, wie eben Verkaufsverbote von Süßigkeiten oder eine Zuckersteuer, stoßen in der Bevölkerung allerdings auf wenig Akzeptanz: Solche Maßnahmen werden eher abgelehnt.

Seit einigen Jahren erfreut sich deshalb das Konzept des Nudgings immer größerer Beliebtheit. Beim Nudging sollen wir Menschen subtil in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. Dabei gibt es keine verbindlichen Verhaltensvorschriften oder finanzielle Anreize. Im Gegensatz zu Verkaufsverboten und Steuern schränkt Nudging die Wahlfreiheit also nicht ein. Es erhält deswegen deutlich höhere Zustimmungswerte in der Bevölkerung.

Aber was genau bedeutet Nudging?

Nudging setzt genau an der Stelle an, dass wir Menschen nicht immer rational handeln und uns nicht so gesund verhalten, wie wir eigentlich wollen. Durch „Nudges“, also kleine Stupser, soll die Umgebung so gestaltet werden, dass wir die gesündere oder nachhaltigere Wahl treffen. Die günstige Alternative wird an prominenter Stelle platziert und besonders hervorgehoben. Oder sie wird als sogenannter Default, also als Voreinstellung, vorgegeben. So gibt es in der Kantine zum Beispiel Salat anstatt Pommes als Standardbeilage. Wer Pommes möchte, muss das ausdrücklich bestellen. Das funktioniert, weil wir uns oft relativ wenig Gedanken über mögliche Optionen machen, sondern uns einfach für die erstbeste Möglichkeit entscheiden. Nudges müssen aber so gestaltet werden, dass wir uns immer noch für die andere Option entscheiden können, wenn wir das explizit möchten. Ein Beispiel für Nudging ist, Obst an den Eingang der Cafeteria zu stellen, sodass es auf den ersten Blick gesehen wird. Schokoriegel vollständig aus dem Angebot zu nehmen, entspricht hingegen nicht dem Nudging, weil uns dann die Entscheidungsfreiheit genommen wird.

Wo kann Nudging ansetzen?

Wir sind täglich zahlreichen Versuchungen ausgesetzt, die unsere Willenskraft auf die Probe stellen und uns in unserem Vorhaben, gesünder zu essen, behindern. Unsere Umwelt begünstigt ungesunde Entscheidungen meistens geradezu: Pommes als Standardbeilage, ein Regal voller Schokoriegel an der Supermarktkasse. An genau diesen Stellen kann das Nudging ansetzen. Die Einsatzmöglichkeiten sind dabei vielfältig. Nudging kann zum Beispiel am Arbeitsplatz, in der Schulkantine, im Restaurant, im Supermarkt oder auch zuhause in den eigenen vier Wänden umgesetzt werden.

In der Forschung kristallisieren sich mittlerweile zwei Aspekte als die effektivsten Stellschrauben für Veränderungen heraus: die Verfügbarkeit und die Position der Lebensmittel. Eine gesunde Ernährung lässt sich vor allem dann unterstützen, wenn mehr gesündere Optionen verfügbar sind. Diese sollten außerdem so platziert werden, dass sie leicht sichtbar und zugänglich sind.

Ein Team aus Großbritannien hat zum Beispiel den Anteil der vegetarischen Gerichte in mehreren Mensen einer Universität von 25 auf 50 Prozent erhöht. Daraufhin wurden zwischen 40 und 79 Prozent mehr vegetarische Speisen verkauft. Und die Forschenden haben noch etwas Wichtiges festgestellt: Insgesamt hat sich die Menge der verkauften Speisen kaum verändert. Fleischliebhaber*innen sind also nicht einfach nicht mehr gekommen. Sie haben sich durchaus mal auf eine vegetarische Alternative eingelassen.

Mehr Wasser trinken wir etwa, wenn zusätzliche Wasserflaschen an mehreren Stellen auffällig platziert werden – zum Beispiel in bunten Körben oder auf Augenhöhe in Kühlschränken. Die verkaufte Anzahl Wasserflaschen in diesem Beispiel wird nicht nur dadurch erhöht, dass mehr Flaschen angeboten werden. Einen großen Einfluss hat auch das Platzieren an auffälligen und leicht zugänglichen Stellen. Wir wählen weniger von etwas aus, das weiter weg aufgestellt ist – und umgekehrt mehr davon, wenn etwas näher ist. Zum Beispiel wurde in einer weiteren Studie in einer Mensa das Obst an der Kasse direkt vor den Süßigkeiten platziert. Dadurch wählten mehr Gäste Obst. Gleichzeitig wurden weniger Süßigkeiten verkauft. Werden die vegetarischen Optionen an einer Essensausgabe zuerst angeboten und wir sehen die fleischhaltigen Alternativen erst später, wird häufiger vegetarisch gegessen. Bis die Kund*innen bei den ungewünschten Optionen angekommen sind, haben sie im Idealfall ihren Teller schon vollgeladen. Auch hier zielt alles darauf ab, die gesündere Option zur einfacheren, automatischen Wahl zu machen.

Warum wird Nudging noch nicht überall eingesetzt? Kritik und Fazit

Vielleicht fragst du dich jetzt, wieso eigentlich nicht jede Mensa Nudging nutzt, um uns gesünder leben zu lassen? Ganz so einfach ist es leider nicht. Ob die Maßnahmen langfristig Effekte zeigen, ist bisher nicht klar. So wissen wir zum Beispiel noch nicht, ob wir beim Mensa-Besuch drei Wochen später immer noch das Obst anstelle der Schokolade wählen. Oder, ob die Wirkung des Stupsens mit der Zeit abnimmt. Ein weiteres Problem ist, dass sich die Effekte möglicherweise nicht automatisch auf andere Situationen übertragen. Zum Beispiel essen Studierende in der Mensa zwar öfters vegetarisch. Zuhause ernähren sie sich aber weiterhin von Fleisch, vielleicht sogar häufiger, da sie in der Mensa auf Fleisch verzichten.

Außerdem sagen Kritiker, dass Nudges das Verhalten widerspiegeln, das die Politik sehen möchte. Die Selbstbestimmtheit der Menschen wird dadurch eingeschränkt, vor allem wenn Nudges verdeckt eingesetzt werden. Diese Bedenken haben auch die Befragten einer Studie zur Akzeptanz von Nudging-Maßnahmen: 49 Prozent der Teilnehmer*innen gaben an, dass sie der Aussage „Menschen können durch Nudging manipuliert werden“ zustimmen.

In derselben Studie wird Nudging aber dennoch generell befürwortet – 70 Prozent finden es sehr gut oder gut.

Die Verwendung von Nudges sollte deswegen immer transparent kommuniziert werden. Man kann dabei sogar noch weiter gehen. Erhalten wir gleichzeitig Informationen über den psychologischen Hintergrund der Maßnahmen, stärkt das unsere eigene Ernährungskompetenz.

Und was heißt das jetzt für dich persönlich?

Ich habe noch einige Ideen für dich, wie du dir die Nudging-Effekte im Alltag zunutze machen kannst.

Ich bin mir sicher, dass dir selbst noch viele weitere gute Ideen einfallen werden, wie du Nudging für dich selbst nutzen kannst. Auch in anderen Bereichen als der Ernährung funktioniert das. Geh einfach mal mit offenen Augen durch deinen Alltag. Einen Trick, wie du es zukünftig schaffen kannst, die Pralinen am Schreibtisch links liegen zu lassen, kennst du jetzt auf jeden Fall. Stelle einfach eine Schüssel mit aufgeschnittenem Obst neben dich und lasse die Schokolade im Schrank verschwinden. „Aus den Augen aus dem Sinn“ funktioniert hier buchstäblich. 

Quellenangaben

Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2020): Deutschland, wie es isst. Der BMEL-Ernährungsreport 2020: https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/ernaehrungsreport-2020.pdf?__blob=publicationFile&v=4

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Ernst BJ, Arens-Azevêdo U, Bitzer B, Bosy-Westphal A, Zwaan M. de, Egert S, Fritsche A, Gerlach S, Hauner H, Heseker H, Koletzko B, Müller-Wieland D, Schulze M, Virmani K, Watzl B, Buyken AE (2018): Quantitative Empfehlung zur Zuckerzufuhr in Deutschland. Konsensuspapier. Edited by Deutsche Adipositas-Gesellschaft, Deutsche Diabetes Gesellschaft, Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Bonn: https://www.ddg.info/politik/veroeffentlichungen/konsensuspapier-zucker

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Garnett EE, Balmford A, Sandbrook C, Pilling MA, Marteau TM (2019): Impact of increasing vegetarian availability on meal selection and sales in cafeterias. In Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 116 (42), pp. 20923–20929. https://doi.org/10.1073/pnas.1907207116

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Bild im Intro (Lupe): conejota/istockphoto.com


 

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