Die Debatte um das Mikrobiom

Unser Darm beherbergt Billionen Mikroorganismen – sie beeinflussen Verdauung, Immunsystem und sogar unsere Gesundheit. Doch was macht ein „gesundes Mikrobiom“ aus? Wissenschaftlich ist das schwer zu definieren. Ernährung, Lebensstil und Umwelt spielen eine wichtige Rolle, doch Standardlösungen gibt es nicht. Stuhltests, Probiotika und fermentierte Lebensmittel versprechen viel – aber halten sie es auch? In dieser Debatte beleuchten verschiedene Fachleute, was wir wirklich über unser Mikrobiom wissen – und wie wir es sinnvoll unterstützen können.

Die Beiträge wurden vom Kompetenzzentrum für Ernährung (KErn) eingeholt.


Inhalt


Wie erkenne ich, ob ich ein gesundes Mikrobiom habe?

Professorin Ute Weisz, TU München

Prof. Dr. Dirk Haller

Professor für Ernährung und Immunologie, Technische Universität München

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Das Mikrobiom spielt eine wichtige Rolle für unsere Gesundheit, doch was genau ein „gesundes Mikrobiom“ ausmacht, lässt sich wissenschaftlich nur schwer definieren. Jeder Mensch besitzt eine einzigartige Zusammensetzung an Mikroorganismen, die stark von Umwelt, Ernährung und Lebensstil beeinflusst wird. Studien zeigen zwar Zusammenhänge zwischen bestimmten Veränderungen im Mikrobiom und Erkrankungen wie chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen oder Dickdarmkrebs; doch verlässliche Marker zur eindeutigen Bestimmung von Gesundheit oder Krankheit auf individueller Ebene – insbesondere im nicht-klinischen Kontext – gibt es nicht. Das liegt daran, dass die Unterschiede zwischen den Mikrobiomen zweier Individuen enorm sein können. Eine eindeutige Einteilung in „gesund“ und „ungesund“ ist daher kaum möglich. Entsprechend sind populäre Stuhltest-Kits problematisch, da sie oft suggerieren, verlässliche Rückschlüsse auf die Darmgesundheit ziehen zu können – obwohl das wissenschaftlich nicht haltbar ist.

Diversität als Anhaltspunkt

Eine hohe mikrobielle Diversität wird mit einem stabilen und widerstandsfähigen Darmmikrobiom in Verbindung gebracht, ist jedoch allein kein zuverlässiger Indikator für Gesundheit. Entscheidend ist vielmehr, ob das Mikrobiom funktional bleibt. Ernährung spielt eine zentrale Rolle für unser Mikrobiom: Eine pflanzenbasierte, ballaststoffreiche Kost fördert die mikrobielle Vielfalt und unterstützt wichtige Stoffwechselprozesse. Dennoch bleibt das Mikrobiom ein komplexes, individuell unterschiedliches Ökosystem, dessen genaue Bedeutung für Gesundheit und Krankheit noch weiter erforscht werden muss.

Mit Probiotika und fermentierten Lebensmitteln zu mehr Gesundheit?

Probiotika und fermentierte Lebensmittel werden oft als Wundermittel für die Darmgesundheit angepriesen. Fermentierte Lebensmittel wie Sauerkraut oder Kefir können lebende Mikroorganismen enthalten und gesundheitliche Vorteile bringen – erfüllen aber nicht automatisch die wissenschaftliche Definition eines Probiotikums. Ein echtes Probiotikum muss nachweislich einen gesundheitlichen Nutzen haben, was bei den meisten Produkten nicht ausreichend belegt ist. Auch die Forschung zu Probiotika liefert bisher keine eindeutigen Antworten: Viele beworbene Effekte sind wissenschaftlich nicht ausreichend gesichert.

Nach einer Antibiotikatherapie stellt sich häufig die Frage, ob Probiotika helfen können, das geschwächte Mikrobiom zu regenerieren. Antibiotika reduzieren die bakterielle Vielfalt, und eine wiederholte Einnahme kann die Widerstandskraft des Darmökosystems gegenüber Pathogenen schwächen. Ob Probiotika hier gezielt unterstützen, ist nicht abschließend geklärt – sofern sie nicht schaden, könnten sie in Kombination mit fermentierten Lebensmitteln einen gewissen Nutzen haben. Eine vollständige Wiederherstellung des Mikrobioms allein durch Probiotika ist jedoch unwahrscheinlich. Wer seine Darmgesundheit langfristig unterstützen möchte, sollte weniger auf einzelne Präparate setzen, sondern vielmehr auf eine pflanzenbasierte, ballaststoffreiche Ernährung. Diese liefert wichtige Nährstoffe für die Darmbakterien und kann das Mikrobiom nachhaltig positiv beeinflussen.


Das Mikrobiom ist sehr komplex – gibt es einfache Methoden, es zu fördern?

Florian Schweigert, Professor für Physiologie und Pathophysiologie der Ernährung

Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann

Professorin für Gesundheitsförderung an der Hochschule Coburg; Vortragsrednerin und Buchautorin (Foto: © E. Klink)

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Ein gesundes Mikrobiom ist kein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis einer dauerhaft abwechslungsreichen Lebensweise. Eine pflanzenbetonte, ballaststoffreiche Ernährung bildet dabei die Basis, denn der gezielte Einsatz von Vollkornprodukten, Hülsenfrüchten, Nüssen, Gemüse und Obst sorgt für mehr Artenvielfalt im Darmmikrobiom – ein entscheidender Faktor für die Darmgesundheit. Auch moderate Mengen an Fisch oder Fleisch sind erlaubt und Kaffee, grüner Tee und dunkle Schokolade können durch ihre sekundären Pflanzenstoffe und Antioxidantien positiv wirken. Darüber hinaus fördert regelmäßige körperliche Aktivität, ob im Büro, bei sportlichen Aktivitäten oder durch gezielte Bewegungspausen, ein vielfältigeres Mikrobiom. Ergänzend dazu wirkt sich ein Aufenthalt in naturnahen Umgebungen positiv aus: Aktivitäten im Freien, der Kontakt zur Umwelt und sogar soziale Interaktionen wie das Umarmen von Mitmenschen tragen zur Bereicherung der eigenen mikrobiellen Vielfalt bei.

Diese Maßnahmen können schaden

Nicht nur, was wir unserem Mikrobiom zuführen, sondern auch bestimmte Maßnahmen können dessen Vielfalt nachhaltig beeinträchtigen. Aggressive Darmreinigungen – etwa in Form von abführenden Mitteln – stören das empfindliche Ökosystem im Darm. Studien zeigen, dass eine solche „Reinigung“ das Gleichgewicht der zahlreichen, miteinander vernetzten Bakterienarten erheblich stört und Monate benötigt, um sich wieder zu regenerieren.

Auch übertriebene Hygiene kann negative Auswirkungen haben. Ein grundlegendes Hygienebewusstsein ist wichtig. Doch ständiger Verzicht auf natürlichen mikrobiellen Austausch – etwa durch häufiges Desinfizieren der Hände oder eine zu sterile Umgebung – verhindert, dass wertvolle Bakterien, die durch sozialen Kontakt und den Aufenthalt in natürlichen Umgebungen aufgenommen werden, in den Körper gelangen. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen notwendiger Hygiene und dem Zulassen natürlicher Mikroorganismen ist entscheidend, um die Vielfalt und Funktionalität des Darmmikrobioms langfristig zu erhalten.


Ist unsere Ernährung der entscheidende Faktor für die Zusammensetzung des Mikrobioms (und die Entstehung von Erkrankungen)?

Florian Schweigert, Professor für Physiologie und Pathophysiologie der Ernährung

Prof. Dr. Julia Seiderer-Nack

Fachärztin für Innere Medizin und Ernährungsmedizin München

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Viele Volkskrankheiten der industrialisierten Welt wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Demenz, Adipositas, aber auch chronisch-entzündliche Darmerkrankungen oder Rheuma werden mit westlichen Ernährungsgewohnheiten in Verbindung gebracht: Vor allem hochverarbeitete Nahrungsmittel und ein hoher Anteil an Zucker und tierischen Fetten gelten als wichtige Ursache. Dabei geht es jedoch nicht nur um Kalorien, Energiedichte und den Einfluss auf Insulinhaushalt und Fettstoffwechsel. Immer mehr zeigt sich, wie sehr unsere Ernährungsweise auch unser Darmmikrobiom und dessen Stoffwechselaktivität verändert und damit auch die Entstehung von Krankheiten beeinflussen kann.

Unser Darm ist nicht nur Verdauungsorgan, sondern auch Heimat von etwa 100 Billionen Bakterien, die in einer hohen Artenvielfalt mit dem Menschen in Symbiose leben. Das Mikrobiom im Darm hat vielfältige Aufgaben: Es unterstützt die Verdauung, ist an der Bildung von Vitaminen, Hormonen und Botenstoffen beteiligt und stärkt die Darmbarriere, sodass krankmachende Erreger oder Substanzen nicht ins Körperinnere gelangen können. Außerdem trainieren die Bakterien unser Immunsystem und beeinflussen so auch Entzündungsprozesse im Körper. Das Darmmikrobiom eines Menschen ist individuell und kann sich durch äußere Einflüsse – wie Medikamente, Antibiotika und vor allem durch unsere Ernährungsweise – in seiner Artenvielfalt, Zusammensetzung sowie in seiner Wirkung auf das Immunsystem und die Produktion von Stoffwechselprodukten verändern.

Unsere Nahrung ist auch Futter für die Darm-Bakterien und hat damit starken Einfluss auf die Zusammensetzung und Artenvielfalt des Mikrobioms. Bereits heute ist bekannt, dass die westliche Ernährung, die von Fast Food, ungesunden Fetten, Emulgatoren, Zusatzstoffen und einer hohen Energiedichte geprägt ist, zu einer geringeren Artenvielfalt an Bakterien im Darm führt und auch Verschiebungen in der Zusammensetzung der Mikrobiota mit sich bringt. Diese Mikrobiom-Zusammensetzung kann zu einer erhöhten Durchlässigkeit der Darmbarriere führen und die Bildung von Entzündungsreaktionen durch das Immunsystem fördern. Dies hat in Folge Auswirkungen auf entzündliche Prozesse im gesamten Körper (z. B. auch in den Blutgefäßen) und unsere Stoffwechselprozesse.

Zudem brauchen unsere Darmbakterien auch eine ausreichend hohe Menge an Ballaststoffen in der Nahrung, um daraus kurzkettige Fettsäuren wie z. B. Butyrat bilden zu können, die eine anti-entzündliche Wirkung haben. Immer mehr Studien zeigen, dass ballaststoffreiche Lebensmittel helfen, Entzündungen vorzubeugen und einzudämmen und auch ein Schutz gegen Demenz sein können.

Wer sein Mikrobiom pflegen und damit seinen Organismus vor entzündlichen Erkrankungen schützen möchte, sollte daher eine pflanzenbasierte Kost wählen, die reich an Hülsenfrüchten, Gemüse, Obst und Nüssen ist, und regelmäßig fettarme fermentierte Milchprodukte wie z. B. Kefir konsumieren. Fast Food, Softdrinks, fettreiches Fleisch oder Alkohol sollten dagegen eher gemieden werden.


Brauche ich Probiotika für ein gesundes Mikrobiom?

Florian Schweigert, Professor für Physiologie und Pathophysiologie der Ernährung

Dr. Sonja Heinritz

Science Communication Manager bei Yakult Deutschland GmbH

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Vergleicht man die Ernährung unserer Vorfahren mit der heutigen, fällt auf: Die traditionelle Ernährung bestand zu einem größeren Teil aus pflanzlichen Lebensmitteln und war reich an Ballaststoffen sowie Mikroorganismen – insbesondere durch Fermentation, um Lebensmittel haltbar zu machen. Heute sind viele Lebensmittel industriell verarbeitet und dadurch „hygienisch sicher“ länger haltbar. Daher kann es sinnvoll sein, gezielt förderliche Mikroorganismen aufzunehmen, um die Biodiversität der Mikrobiota zu unterstützen und so das Immunsystem sowie die Gesundheit zu stärken.

Studien und Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte zeigen, dass die Darmmikrobiota großen Einfluss auf die Entstehung von Erkrankungen hat. Spezielle fermentierte Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel mit lebenden Mikroorganismen bieten vielversprechende Ansatzpunkte zur Prävention und Therapie.

Wie erkenne ich probiotische Lebensmittel?

Auf einem probiotischen Produkt sollten die genaue Bezeichnung und Anzahl des enthaltenen Bakterienstammes genannt sowie eine Information zur Lagerung angegeben sein. Zudem müssen die enthaltenen Bakterien in der Lage sein, den Magen unbeschadet zu passieren, um den Darm lebend zu erreichen.

In der wissenschaftlichen Gemeinschaft besteht Konsens darüber, wie „Probiotika“ als Kategorie definiert werden. Allerdings lassen einige Mitgliedstaaten den Begriff aufgrund der Auslegung eines Leitfadens der Europäischen Kommission nicht zu.

Zusammenfassung der International Probiotics Association (auf englisch)

Für wen können Probiotika besonders sinnvoll sein – und wann ist Vorsicht geboten?

Die wissenschaftliche Gemeinschaft ist sich einig, dass der Verzehr von Probiotika über Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll sein kann, um die Mikrobiota nach einer Antibiotika-Behandlung aufzubauen. Auch für Menschen mit Reizdarm kann dies hilfreich sein (siehe Empfehlung in der Reizdarm-Leitlinie). Die Einnahme sollte mit einer medizinischen Fachkraft oder im Rahmen einer Ernährungsberatung besprochen werden.

Im Speziellen können auch ältere Menschen mit verringerter Diversität der Mikrobiota, Frauen in den Wechseljahren oder Personen im Leistungssport von Probiotika profitieren.

Laut der „International Scientific Association für Probiotics and Prebiotics“ (ISAPP) ist der Verzehr von Probiotika für gesunde Menschen im Allgemeinen unbedenklich. Schwangere, Kleinkinder, Menschen mit geschwächtem Immunsystem oder Kurzdarmsyndrom sollten vor dem Verzehr mit einem Arzt und dem Hersteller des Probiotikums sprechen.


Welche Bakterien müssen gerettet werden – und warum?

Florian Schweigert, Professor für Physiologie und Pathophysiologie der Ernährung

Prof. Dr. Thomas Bosch

Professor für Zoologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel; Vorstandsmitglied der Microbiota Vault-Initiative

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Unser Darm beherbergt eine faszinierende Vielfalt an Mikroorganismen, die für unsere Gesundheit unverzichtbar sind. Sie unterstützen die Verdauung, stärken das Immunsystem und können uns vor Krankheiten schützen. Doch durch die moderne westliche Ernährung, veränderte Lebensgewohnheiten und den globalen Biodiversitätsverlust schwindet diese Vielfalt. Besonders Mikroben, die in traditionellen Kulturen noch häufig vorkommen, sind in industrialisierten Gesellschaften auf dem Rückzug – mit möglichen Folgen wie chronischen Entzündungen und Stoffwechselstörungen.

Um diese wertvollen Mikroorganismen zu bewahren, wurde das Microbiota-Vault-Projekt ins Leben gerufen. Ähnlich wie die weltweite Saatgutbank auf Spitzbergen soll es als Archiv dienen – allerdings nicht für Pflanzen, sondern für Darmbakterien. Bevor die mikrobielle Vielfalt weiter abnimmt, werden Proben aus verschiedenen Regionen gesammelt und konserviert. Forscher erhalten so die Möglichkeit herauszufinden, welche Mikroben für unsere Gesundheit essenziell sind und wie sie künftig gezielt genutzt werden können.

Das Projekt befindet sich noch in der Anfangsphase. Eine erste Finanzierung ist gesichert, doch der endgültige Lagerungsort steht noch nicht fest. Bis dahin werden Methoden getestet, mit denen sich Bakterien am besten konservieren lassen – etwa durch Tiefgefrierung.

Welche Bakterien sollen erhalten bleiben?

Die Antwort ist nicht so einfach, wie es scheint. Es geht nicht um einzelne Bakterien, sondern um ganze mikrobielle Gemeinschaften. Denn: Die meisten Bakterien wirken nicht isoliert, sondern in komplexen Netzwerken. Einige produzieren kurzkettige Fettsäuren, andere interagieren mit der Darmschleimhaut – aber wie genau sie zusammenspielen, ist noch nicht vollständig erforscht.

Deshalb konzentriert sich das Microbiota-Vault-Projekt auf den Erhalt ganzer Mikrobengemeinschaften. Das Ziel: Eine breit gefächerte Sammlung, die zukünftige Forschung ermöglicht und verloren gegangene Bakterien für gesundheitsförderliche Anwendungen bewahrt.

Was ist mit anderen Mikroorganismen?

Bislang liegt der Fokus auf Bakterien, weil sie vergleichsweise gut erforscht und leichter konservierbar sind. Doch auch Viren, Pilze und Phagen spielen eine wichtige Rolle im Mikrobiom. Besonders Pilze rücken zunehmend ins Zentrum der Forschung, weil ihr Einfluss auf den Darm und ihre Wechselwirkungen mit Bakterien noch kaum verstanden sind.

Langfristig soll das Projekt über Bakterien hinausgehen und die gesamte mikrobielle Vielfalt erfassen. Die größte Herausforderung dabei: Viele Mikroorganismen sind schwer zu konservieren. Doch das Ziel bleibt, dieses wertvolle biologische Erbe für kommende Generationen zu sichern – und damit auch die Grundlagen für eine gesunde Zukunft.

Titelbild: AlfaSmart/stock.adobe.com (KI-generiert)

Stand: März 2025

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