Glutenfrei ohne Grund? Viele Menschen glauben, dass eine glutenfreie (weizenfreie) Ernährung generell gesünder sei. Diese Aussage ist aber wissenschaftlich nicht haltbar. Im Gegenteil: Eine glutenfreie Ernährung auf Basis einer Selbstdiagnose bei Gesunden ist nicht ratsam. Sie schränkt die Lebensmittelauswahl unnötig ein und kann zu einer veränderten Aufnahme wichtiger Nährstoffe führen. Dadurch besteht das Risiko einer unzureichenden Nährstoffversorgung (Jivraj et al. 2022) und gesundheitlicher Folgeprobleme. Dazu zählen ein möglicherweise erhöhtes Risiko für Übergewicht (Peleg et al. 2024), Schwermetallbelastungen (Bascuñán et al. 2023) sowie Veränderungen in der Zusammensetzung der Darmbakterien (Caio et al. 2020).
Nachgewiesen wurde, dass eine glutenfreie Ernährung bei Gesunden die Menge günstiger Bakterienstämme wie Bifidobakterien reduzierte und sich im Gegensatz dazu ungünstige Stämme wie Enterobacteriaceae und Escherichia coli vermehrten.
Menschen mit ärztlich diagnostizierter Zöliakie oder Weizenallergie müssen jedoch auf Weizen bzw. Gluten verzichten. Die gute Nährstoffzusammensetzung von Weizen (nicht umsonst ist es mit Reis und Mais das weltweit wichtigste Getreide für die Welternährung) und die Versorgung von Ballaststoffen müssen dann durch andere Lebensmittel ersetzt werden.
Siehe auch unseren Forschungsstand zur Frage: Gluten – gesundes Eiweiß oder Krankmacher?
Der heutige Weizen ist besser als sein Ruf. Wenn es um die Verträglichkeit von Weizen geht, heißt es oft, moderne Sorten seien züchterisch so verändert, dass sie nicht mehr gut vertragen werden. Diese Aussage stimmt so aber nicht. Weder aus Sicht der Biochemie noch der Genetik finden sich Belege dafür, dass sich die Proteinzusammensetzung des Weizenkorns im Laufe der Züchtung nennenswert verändert hat (Clemens 2024). Hier setzen wir uns mit dem Buch „Weizenwampe“ auseinander und erklären, warum der Weizen nicht an allem schuld ist.
Dies zeigt auch die Arbeit einer Forschungsgruppe des Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie: Das Team untersuchte den Proteingehalt von 60 bevorzugten Weizensorten aus der Zeit zwischen 1891 und 2010. Dabei fanden die Forschenden heraus, dass moderne Weizensorten insgesamt etwas weniger Protein als alte Sorten enthalten. Der Glutengehalt blieb in den letzten 120 Jahren relativ konstant, jedoch veränderte sich die Zusammensetzung des Glutens leicht: Der Anteil der eher kritisch angesehenen Gliadine sank um rund 18 %, dagegen stieg der Gehalt der Glutenine um etwa 25 % (Pronin et al. 2020).
Mit der Beobachtung, dass eine höhere Niederschlagsmenge im Erntejahr mit einem höheren Glutengehalt der untersuchten Sorten verbunden war, konnten die Forschenden zeigen, dass Umweltbedingungen wie die Niederschlagsmenge einen größeren Einfluss auf die Proteinzusammensetzung haben als die jeweilige Sorte. Auf Proteinebene fand das Wissenschafts-Team keine Hinweise darauf, dass sich das immunreaktive Potenzial des Weizens durch die züchterischen Maßnahmen über die letzten 100 Jahre verändert hat (Pronin et al. 2020).
Die Verträglichkeit von Lebensmitteln kann individuell sehr verschieden sein. Der Unterschied zwischen Dinkel und Weizen ist oft geringer als gedacht. Sowohl Weizen als auch Dinkel sind glutenhaltige Getreidearten. Gluten ist ein Bestandteil des Weizenproteins, das aus den Fraktionen Gliadin und Glutenin besteht. Dinkel stimmt in seiner Zusammensetzung etwa zu zwei Dritteln mit der von Weizenproteinen überein (Afzal et al. 2020, Steinmüller 2017). Für Menschen mit Zöliakie oder Weizenallergie ist Dinkel daher genauso unverträglich wie Weizen (BfR 2023).
Eine im Vergleich zu Weizen bessere Verträglichkeit von Dinkel konnte bisher in wissenschaftlichen Studien nicht nachgewiesen werden. Allerdings sind sowohl in Weizen als auch Dinkel etwas höhere Mengen an potenziell allergieauslösenden Proteinen als in Roggen enthalten (Zimmermann et al. 2021). Neben dem Glutengehalt scheinen andere Faktoren wie Teigführung, eine mögliche Auswirkung von Zusatzstoffen sowie der Einfluss der Bakterienzusammensetzung im Darm eine wichtige Rolle bei der Verträglichkeit von Backwaren zu spielen.
Nicht besser, nur anders: Pseudogetreide wie Buchweizen, Amaranth oder Quinoa gehören im Gegensatz zu den klassischen Getreidesorten wie Weizen, Roggen oder Gerste botanisch nicht zur Familie der Süßgräser, sondern stammen aus unterschiedlichen Pflanzenfamilien (Alvarez-Jubete et al. 2010). Ihre Samen können ähnlich wie echtes Getreide verwendet werden. Da ihnen jedoch das Klebereiweiß Gluten fehlt, besitzen sie schlechtere Backeigenschaften, sodass sie weniger gut zum Brotbacken geeignet sind (BZL 2024).
Sowohl Weizen und andere Getreidesorten in ihrer Vollkornvariante als auch Pseudogetreide enthalten hochwertiges Protein, Ballaststoffe und wichtige Mikronährstoffe (z. B. Magnesium, Eisen, B-Vitamine). Die Nährstoffprofile unterscheiden sich, es gibt aber keine pauschalen Vorteile des einen oder anderen Lebensmittels (Alvarez-Jubete et al. 2010).
Fazit: Pseudogetreide können für Abwechslung auf dem Speiseplan sorgen, sind aber nicht grundsätzlich „gesünder“ als Weizen. Entscheidend sind die individuelle Verträglichkeit, die Verarbeitung und die Vielfalt in der Ernährung. Für Gesunde bietet eine glutenfreie oder ausschließlich auf Pseudogetreide basierende Ernährung keinen nachgewiesenen gesundheitlichen Vorteil.
Die immer wieder geäußerte Behauptung, dass „Gluten die Darmzotten verklebt“, ist wissenschaftlich nicht haltbar. Bei Menschen mit Zöliakie – einer Autoimmunerkrankung – löst Gluten eine Entzündungsreaktion aus, die dazu führt, dass die Darmzotten im Dünndarm abflachen oder zerstört werden. Dies ist jedoch eine immunvermittelte Reaktion und keine mechanische „Verklebung“ (Cenni et al. 2023).
Auch die Aussage, dass Gluten „Risse im Darm“ („Leaky Gut“) verursache, ist wissenschaftlich nicht haltbar. Bei Menschen mit Zöliakie kann Gluten die Durchlässigkeit der Darmschleimhaut erhöhen, indem es die Ausschüttung eines Proteins namens Zonulin stimuliert. Dies kann zu einer „erhöhten intestinalen Permeabilität“ führen, was umgangssprachlich als „Leaky Gut“ bezeichnet wird. Für gesunde Menschen gibt es keine Belege, dass Gluten die Darmbarriere schädigt oder „Risse“ verursacht. Übersichtsarbeiten und Expertenmeinungen betonen, dass Gluten für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung keine schädlichen Effekte auf die Darmstruktur hat (Cenni et al. 2023).
Derzeit wird von Dr. Verónica Dodero an der Universität Bielefeld untersucht, ob die geschwächte Darmbarriere nicht eine Folge, sondern eine Ursache von Zöliakie sein könnte. Im Zellmodell wurde bereits gezeigt, dass unvollständig verdaute Gluten-Moleküle Nanostrukturen bilden und im Darmmodell schädigend wirken (Berentzen 2025). In diesem Video wird (auf Englisch) erklärt, wie Glutenaggregate Entzündungen auslösen können.
Häufig wird behauptet: „Getreide ist immer genmanipuliert“. Das ist so nicht korrekt. Weltweit wird nur Mais – und in einigen Ländern auch Reis – in größerem Umfang als gentechnisch veränderte Getreidevariante angebaut (Oldways Whole Grains Council 2021). Der kommerzielle Anbau weltweit aller Pflanzenarten beschränkt sich in erster Linie auf die Sojabohne, dazu kommen – neben Mais – noch Baumwolle und Raps (BUND e. V.).
Laut der US-amerikanischen Lebensmittelbehörde FDA sind in den USA vor allem Mais, Soja, Raps und Zuckerrüben gentechnisch verändert (USFDA 2024). Für Weizen, Roggen oder Gerste existieren keine zugelassenen oder verbreiteten gentechnisch veränderten Sorten.
Auch innerhalb der Europäischen Union ist der Anbau von gentechnisch verändertem Getreide streng geregelt und beschränkt sich im Grunde auf eine Maissorte, die aktuell nur in Spanien und Portugal kommerziell angebaut wird: Bt-Mais von Monsanto (MON810), der ein für bestimmte Insekten giftiges Protein produziert. Für Weizen und andere Getreidearten sind in der EU keine gentechnisch veränderten Varianten zugelassen (Forum Bio- und Gentechnologie e. V. 2025).
Produkte, die mit der Aufschrift „ohne Gentechnik“ oder dem EU-Bio-Siegel gekennzeichnet sind, garantieren zudem, dass bei ihrer Herstellung keine Gentechnik zum Einsatz kam. Seit 2012 werden in Deutschland keine gentechnisch veränderten Pflanzen angebaut, Freisetzungen gibt es seit 2013 nicht mehr (BUND e. V.).
Text: Dr. Gunda Backes / Kompetenzzentrum für Ernährung (KErn)
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Nachweise
Afzal et al. (2020): High-resolution proteomics reveals differences in the proteome of spelt and bread wheat flour representing targets for research on wheat sensitivities. Sci Rep 10(1):14677
Alvarez-Jubete et al. (2010): Nutritive value of pseudocereals and their increasing use as functional gluten-free ingredients. Trends Food Sci Tech21(2):106–113
Bascuñán et al. (2023): Heavy metal and rice in gluten-free diets: are they a risk? Nutrients 15(13):2975
Berentzen M (2025): DFG-Förderung: Wie Weizenpeptide die Darmwand angreifen. Universität Bielefeld
BfR – Bundesinstitut für Risikobewertung (2023): Spelt can also trigger allergies – low level of public knowledge about spelt being a type of wheat. BfR Opinion No 001/2023
BUND e. V. (o. D.): Kommerzieller Anbau und Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen in Deutschland. Abgerufen am 12.06.2025
BZL – Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (2024): Was sind eigentlich Pseudogetreide?
Caio et al. (2020): Effect of gluten-free diet on gut microbiota composition in patients with celiac disease and non-celiac gluten/wheat sensitivity. Nutrients 12(6):1832
Cenni et al. (2023): The Role of Gluten in Gastrointestinal Disorders: A Review. Nutrients 15(7):1615
Clemens S (2024): „Weizenwampe: Warum Weizen dick und krank macht“ von Dr. William Davis
Jivraj et al. (2022): Micronutrient deficiencies are frequent in adult patients with and without celiac disease on a gluten-free diet, regardless of duration and adherence to the diet. Nutrition 103–4:111809
Forum Bio- und Gentechnologie e. V. (2025): Nur Mais, nur Spanien. Gentechnik-Pflanzen in der EU
Oldways Whole Grains Council (2021): These Whole Grains Are Never GMO
Peleg et al. (2024): The effects of gluten-free diet on body mass indexes in adults with celiac disease: a systematic review and meta-analysis of observational studies. J Clin Gastroenterol 58(10):989–97
Pronin et al. (2020): Wheat (Triticum aestivum L.) breeding from 1891 to 2010 contributed to increasing yield and glutenin contents but decreasing protein and gliadin contents. J Agric Food Chem 68(46):13247–56
Steinmüller R (2017): Lebensmittelallergene. Teil 5: Weizen und verwandte Getreide als Krankheitsursache – botanische Grundlagen. Ernährungs Umschau 64(3):S9–12
USFDA – U.S. Food & Drug Administration (2024): GMO Crops, Animal Food, and Beyond
Zimmermann et al. (2021): Comprehensive proteome analysis of bread deciphering the allergenic potential of bread wheat, spelt and rye. J Proteomics 247:104318
Titelbild: Inga/stock.adobe.com
Stand: Juni 2025