Für Menschen mit Zöliakie ist ein Verzicht auf Gluten Pflicht. Für andere gilt „glutenfrei“ teilweise als Gesundheitsversprechen. Dabei können hinter Beschwerden auch andere Auslöser stecken – etwa eine Weizenallergie oder eine Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität. Zudem liefern Brot und Vollkorn wichtige Nährstoffe. Wir haben Fachleute gebeten, die Diagnostik, den Nutzen und die Grenzen glutenfreier Ernährung für den Ernährungsradar einzuordnen.
Die Beiträge wurden vom Kompetenzzentrum für Ernährung (KErn) eingeholt.
Inhalt
- Ist Gluten ungesund?
- Wie sehr entscheiden Sorte und Verarbeitung darüber, ob wir Gluten gut vertragen?
- Welche Rolle spielt die glutenfreie Ernährung in der Therapie von Zöliakie, Nicht-Zöliakie-Sensitivität und anderen chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen?
- Gibt es die Glutensensitivität wirklich?
- Welche Herausforderungen und Entwicklungen prägen die Herstellung glutenfreier Lebensmittel heute?
Ist Gluten ungesund?

Prof. Dr. med. Wolfgang Holtmeier
Chefarzt der Abteilung für Gastroenterologie, Diabetologie und Innere Medizin.
Gluten gilt in der öffentlichen Wahrnehmung oft als Auslöser verschiedenster Krankheiten. Wissenschaftlich lässt sich diese pauschale Kritik jedoch nicht belegen. Für die überwältigende Mehrheit – rund 95 % der Bevölkerung – ist Gluten nicht schädlich. Schwierigkeiten treten vor allem bei bestimmten Erkrankungen auf.
Zum Beispiel bei einer Zöliakie. Hier muss streng auf Gluten verzichtet werden, da schon geringe Mengen Beschwerden auslösen. Auch bei der Weizenallergie ist ein Verzicht notwendig. Daneben gibt es Menschen mit einer Weizensensitivität. Dieses Krankheitsbild ist seit 15 Jahren in der Forschung beschrieben, seit rund 10 Jahren weitgehend anerkannt und mittlerweile auch in medizinischen Leitlinien verankert. Anders als bei der Zöliakie gibt es jedoch keinen eindeutigen Marker. Die Diagnose erfolgt über Ausschlussverfahren.
Zudem zeigen Studien, dass Gluten selbst bei Betroffenen mit einer Weizensensitivität meist nicht die Beschwerden auslöst. Wahrscheinlicher ist eine eingeschränkte Verträglichkeit bestimmter Kohlenhydrate, vor allem der Fruktane – einer Untergruppe der FODMAPs, die im Weizen vorkommen. Für viele Menschen mit Beschwerden reicht es daher, größere Mengen weizenhaltiger Produkte zu meiden, während kleinere Mengen verträglich sein können.
Gluten und auch Weizen können somit für einzelne Gruppen problematisch sein. Für die Mehrheit bleibt Weizen jedoch ein wichtiges Grundnahrungsmittel.
Welche Probleme oder Missverständnisse begegnen Ihnen in der Praxis, wenn Menschen ohne klare Diagnose auf Gluten verzichten?
In der Praxis zeigt sich, dass einige Menschen bei Beschwerden auf eigene Faust glutenfrei essen – angestoßen durch Informationen aus dem Internet oder durch Ratgeber. Das erschwert die medizinische Abklärung einer Zöliakie. Betroffene haben meist keine Antikörper oder Schleimhautveränderungen mehr. Die Erkrankung lässt sich folglich nicht mehr sicher nachweisen. Um eine Diagnose stellen zu können, müssen Betroffene wieder Gluten zu sich nehmen, was viele ablehnen, da es ihnen bereits durch die glutenfreie Ernährung besser geht.
Hinzu kommt, dass viele Leute ihre Ernährung stärker einschränken, als es nötig wäre. Während bei der Zöliakie eine konsequente glutenfreie Ernährung erforderlich ist, handelt es sich bei der Weizensensitivität oft um ein Mengenproblem. Größere Mengen an Brot, Nudeln oder Pizza können zu Beschwerden führen. Kleinere Mengen hingegen könnten verträglich sein.
Ein weiteres Missverständnis betrifft die Ursache der Beschwerden. Verdauungsbeschwerden können viele andere Gründe haben, etwa eine Fruktose- oder Laktoseunverträglichkeit. Ohne systematische Abklärung wird dies leicht übersehen.
Insgesamt zeigt sich, dass Menschen, die ohne Diagnose auf Gluten verzichten, ihre Ernährung oft unnötig stark einschränken und zugleich die Chance auf eine gesicherte Diagnose verpassen können.
Wie sehr entscheiden Sorte und Verarbeitung darüber, ob wir Gluten gut vertragen?

Prof. Dr. Katharina Scherf
Professorin für Food Biopolymer Systems, Technische Universität München (TUM),
und Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der TUM
Grundsätzlich gilt: Für den überwiegenden Teil der Bevölkerung ist Gluten unproblematisch. Bei Zöliakie ist die Situation anders. Glutenhaltige Getreide wie Weizen, Roggen und Gerste müssen strikt gemieden werden. Zum Weizen zählt nicht nur der Brotweizen, der etwa 95 Prozent des Anbaus ausmacht, sondern auch Arten wie Hartweizen, Dinkel, Emmer, Einkorn oder Khorasan. Da sich ihre Proteinzusammensetzung stark ähnelt, sind sie ebenfalls immunreaktiv.
In der öffentlichen Debatte wird häufig behauptet, moderner Weizen sei „hochgezüchtet“ und „schlechter verträglich“ als alte Sorten. Studien, in denen Weizensorten von 1890 bis heute verglichen wurden, konnten diesen Verdacht nicht bestätigen. Der Glutengehalt ist über die Jahrzehnte insgesamt stabil geblieben. Allerdings zeigte sich, dass der Proteingehalt je nach Erntejahr deutlich schwankte – ein Hinweis darauf, dass Umweltbedingungen einen größeren Einfluss haben können als die Züchtung selbst. Auch bei Dinkel oder ursprünglichen Landsorten fanden sich keine klaren Unterschiede, die eine bessere Verträglichkeit im Vergleich zu modernem Brotweizen erklären würden. Die Zusammensetzung der Proteine hat sich zwar leicht verändert, allerdings in Richtung höherer Glutenin-Anteile und niedrigerer Gliadin-Anteile. Das verbessert vor allem die Backeigenschaften und könnte die Verträglichkeit sogar leicht verbessern.
Einfluss hat dagegen die Verarbeitung. Bei der Brotherstellung kann es einen Unterschied machen, ob ein industrielles Produkt mit schneller Hefeführung oder ein handwerkliches Brot mit langer Sauerteigfermentation hergestellt wird. Während der Fermentation bauen Mikroorganismen bestimmte Proteinfraktionen und Kohlenhydrate teilweise ab. Das kann die Bekömmlichkeit verbessern, auch wenn der Glutengehalt für Menschen mit Zöliakie weiterhin viel zu hoch bleibt. Zudem weisen Sauerteigbrote ein anderes Inhaltsstoffprofil auf, das sich positiv auf die Verträglichkeit auswirken kann. In der industriellen Produktion wird teilweise zusätzlich Gluten zugesetzt, um die Backeigenschaften zu verbessern. Dadurch kann die aufgenommene Glutenmenge insgesamt höher sein als bei traditionell hergestellten Produkten – ob das eine Rolle für die Zunahme berichteter Beschwerden spielt, ist allerdings noch nicht abschließend geklärt
Welche Rolle spielen Inhaltsstoffe wie Amylase/Trypsin-Inhibitoren (ATIs) oder FODMAPs bei der Verträglichkeit von Getreide?
In der Forschung richtet sich der Blick neben Gluten zunehmend auch auf andere Inhaltsstoffe. ATIs stehen im Verdacht, eine Rolle bei der Weizensensitivität zu spielen. Sie sind als Allergene bekannt und werden in diesem Zusammenhang intensiv untersucht. Bisherige Ergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass ihr Gehalt in modernen Weizensorten nicht höher ist als in älteren. Auch durch die Verarbeitung können sie teilweise abgebaut werden, etwa über längere Sauerteigführung, wobei sie insgesamt als recht widerstandsfähig gelten. Es gibt zudem Hinweise, dass ATIs während einer längeren Fermentation ihre Bioaktivität verlieren könnten. Ob und in welchem Umfang das tatsächlich geschieht, ist jedoch noch nicht abschließend erforscht.
Ein weiterer Faktor sind die FODMAPs, insbesondere die Fruktane im Weizen. Sie gehören zu den schwer verdaulichen Kohlenhydraten, die bei manchen Menschen Blähungen und Bauchschmerzen hervorrufen können. Durch eine längere Teigführung werden die Fruktane zu Fruktose abgebaut, die anschließend von Mikroorganismen weiter verstoffwechselt wird. Dadurch sinkt der Gehalt. Für Menschen mit entsprechender Empfindlichkeit können solche Brote besser verträglich sein.
Welche Rolle spielt die glutenfreie Ernährung in der Therapie von Zöliakie, Nicht-Zöliakie-Sensitivität und anderen chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen?

Prof. Dr. med. Yurdagül Zopf
Professorin für Integrative Medizin, Schwerpunkt Gastroenterologie und Ernährungsmedizin am Hector-Center für Ernährung, Bewegung und Sport, Uniklinikum Erlangen
Bei der Zöliakie handelt es sich um eine immunvermittelte Erkrankung des Dünndarms, bei der bereits kleinste Mengen Gluten zu einer Entzündungsreaktion führen. Charakteristisch ist dabei eine Schädigung der Dünndarmschleimhaut mit Zottenatrophie und in Folge einer oftmals schwerwiegend gestörten Nährstoffaufnahme. Betroffene reagieren selbst auf Spuren glutenhaltiger Lebensmittel – Mengen von nur 10 bis 50 Milligramm Gluten pro Tag (etwa ein Tausendstel einer Brotscheibe) können ausreichen, um Beschwerden und Schleimhautschäden auszulösen. Die einzige wirksame Therapie ist eine lebenslange, strikt glutenfreie Ernährung.
Bei der sogenannten Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität berichten Betroffene nach dem Verzehr von Lebensmitteln aus Weizen ebenfalls über Beschwerden wie Blähungen, Bauchschmerzen oder Müdigkeit. Anders als bei der Zöliakie kommt es hier jedoch nicht zu einer nachweisbaren Schädigung der Darmschleimhaut. In vielen Fällen ist keine dauerhafte strikte Diät nötig. Nach einer glutenfreien Ernährung über 6 bis 8 Wochen können oft wieder geringe Mengen Gluten toleriert werden. Es existiert ein individueller Schwellenwert, der durch die Zufuhr steigender Konzentrationen an Gluten ermittelt werden muss. Neben Gluten selbst stehen auch andere Inhaltsstoffe des Weizens, etwa bestimmte Kohlenhydrate, im Verdacht, an den Beschwerden beteiligt zu sein.
Auch bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn wird eine glutenfreie Ernährung diskutiert – allerdings nur im Rahmen spezieller Ernährungskonzepte und vorübergehend. In der akuten Phase können Eliminationsdiäten hilfreich sein, bei denen unter anderem Weizenprodukte weggelassen werden. Nach erfolgreicher Remission sind auch glutenhaltige Produkte, etwa aus Vollkorn, wieder erlaubt.
Wie sinnvoll ist eine glutenfreie Ernährung für Menschen ohne medizinische Diagnose/Notwendigkeit?
Weizen, und besonders Vollkornweizen, besitzt einen sehr hohen Nährwert. Neben Ballaststoffen enthält Weizen viele wichtige Mineralien (Kalium, Magnesium, Phosphor, Calcium), Spurenelemente (Eisen, Zink, Kupfer, Mangan) und Vitamine. Gesunden Menschen wird keine glutenfreie Ernährung empfohlen, zumal glutenfreie Alternativprodukte häufig einen höheren Fett- und Zuckergehalt aufweisen.
Wie erkenne ich, ob ich Gluten vertrage/nicht vertrage?
Die Diagnose einer Zöliakie kann zuverlässig über spezifische Antikörper im Blut sowie dem Nachweis einer charakteristisch geschädigten Dünndarmschleimhaut gestellt werden.
Deutlich schwieriger ist die Diagnose bei einer Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität. Hier besteht derzeit keine einheitlich anerkannte Diagnostik. Viele Inhaltsstoffe von glutenhaltigem Getreide – darunter auch andere Eiweißmoleküle oder kurzkettige Kohlenhydrate – können Beschwerden auslösen. Um gezielt zu prüfen, ob Gluten der Auslöser ist, müsste nach einer mehrwöchigen Glutenelimination Gluten verblindet verzehrt werden. Solche Tests sind bislang jedoch nur im Rahmen klinischer Studien möglich.
Gibt es die Glutensensitivität wirklich?

Wenn Menschen von einer glutenfreien Ernährung profitieren, liegt es nahe, Gluten als den Verursacher von vorherigem Unwohlsein und ggf. Beschwerden zu verdächtigen. Bei einer Zöliakie ist dieser kausale Zusammenhang bekannt. Doch bei Menschen ohne Zöliakie sind alle Versuche, Gluten mittels Provokationstests als verantwortlich zu bestätigen, bislang gescheitert. Das hat dazu geführt, dass das Krankheitsbild inzwischen in Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität umbenannt wurde. Dieser Begriff soll allen potenziellen Triggern gerecht werden. Denn neben Gluten werden auch Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATIs), weitere Proteinbestandteile sowie FODMAPs (eigentlich Präbiotika wie Oligosaccharide, Laktose, Fruktose und Polyole) für das Auftreten von intestinalen und extra-intestinalen Beschwerden verantwortlich gemacht. Doch auch für letztere vermeintliche Auslöser konnten bisher keine Nachweise erbracht werden. Bei verblindeten Provokationen unterscheiden sich die Beschwerden nicht von denen nach Placebo, so dass anzunehmen ist, dass die Ernährungsumstellung insgesamt und die Erwartung einer Besserung maßgeblich für den Erfolg verantwortlich sind.
Kein Verzicht vor Ausschluss einer Zöliakie
Eine Meidung von Gluten kann eine nicht diagnostizierte Zöliakie maskieren, da eine aussagekräftige Diagnostik nur unter glutenhaltiger Kost gestellt werden kann. Außerdem birgt jede unnötige Einschränkung das Risiko einer Ess-Störung. Eine glutenfreie Ernährung kann mit Fehlernährung und anderen Konsequenzen für die Gesundheit einhergehen, wenn die Nachteile einer glutenfreien Ernährung nicht kompensiert werden. Wird nach aussagekräftigem Ausschluss einer Zöliakie ein Zusammenhang von Beschwerden mit Weizen bzw. Gluten vermutet, sollte im Rahmen einer Ernährungstherapie eine individuelle und symptomorientierte Ernährungsform erarbeitet werden.
Welche Herausforderungen und Entwicklungen prägen die Herstellung glutenfreier Lebensmittel heute?

Die Nachfrage nach glutenfreien Lebensmitteln ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen – sei es aufgrund einer medizinischen Diagnose wie Zöliakie oder durch persönliche Überzeugung. Vor allem in einem Land wie Deutschland, in dem Brot und Backwaren eine zentrale Rolle spielen, ist es vielen Menschen wichtig, trotz glutenfreier Ernährung nicht auf gewohnte Produkte verzichten zu müssen.
Gerade in diesem Bereich liegen jedoch große technologische Herausforderungen: Gluten trägt entscheidend zur Textur, Elastizität und Frischhaltung von Teigen bei. Um eine vergleichbare sensorische Qualität zu erreichen, forscht das Dr. Schär R&D Centre (Forschungs- und Entwicklungszentrum von Dr. Schär) im Area Science Park in Triest an neuen Lösungen – sowohl im Hinblick auf geeignete Rohstoffe als auch auf technologische Verfahren. Kombiniert werden unterschiedliche Mehle, Fasern, Proteine und Stärken mit dem Ziel, die bindenden Eigenschaften von Gluten gezielt zu ersetzen und dabei das volle Potenzial der Zutaten zu nutzen.
Im Fokus steht vor allem ein Ziel: glutenfreie Brote und Brötchen herzustellen, die über ihre gesamte Haltbarkeitsdauer hinweg eine weiche, luftige Krume und einen angenehmen Geschmack behalten – möglichst nah an klassischen Backwaren mit Gluten.
Wie gelingt es, glutenfreie Produkte herzustellen, die sowohl ernährungsphysiologisch ausgewogen als auch geschmacklich überzeugend sind?
Die Entwicklung glutenfreier Produkte erfordert nicht nur technologische Präzision, sondern auch ein Gespür für Geschmack und Nährwert. Gluten hat viele funktionelle Eigenschaften – es sorgt etwa für die fluffige Struktur von Brot oder die Konsistenz von Keksen. Um das zu kompensieren, setzt Dr. Schär auf eine Vielzahl alternativer Rohstoffe wie Reis, Mais sowie verschiedene Saaten, Getreide- und Pseudogetreidesorten.
Ziel ist dabei nicht nur ein gutes Mundgefühl, sondern auch ein ausgewogenes Nährwertprofil. Zutaten wie Hirse, Buchweizen, Quinoa, Sorghum oder Hafer liefern wertvolle Ballaststoffe, Mineralstoffe und sekundäre Pflanzenstoffe – und erweitern gleichzeitig das geschmackliche Spektrum glutenfreier Produkte. Entscheidend ist jedoch nicht die einzelne Zutat, sondern die richtige Mischung und technologische Umsetzung.
Auch Aspekte wie Zucker-, Fett- und Salzgehalt werden zunehmend berücksichtigt: Viele Konsumentinnen und Konsumenten achten heute verstärkt auf eine bewusste Ernährung. Dr. Schär verfolgt deshalb das Ziel, den Anteil an Zucker, gesättigten Fettsäuren und Salz möglichst gering zu halten – ohne Kompromisse beim Geschmack. Gleichzeitig wird gezielt auf eine gute Ballaststoffversorgung geachtet, um die ernährungsphysiologische Qualität der Produkte weiter zu verbessern.
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Titelbild: JenkoAtaman/stock.adobe.com
Stand: September 2025